KISS Interview: Transident Nordhessen

Interview im KISS Selbsthilfemagazin 2022

Wenn das Geschlecht sich falsch anfühlt
Transident Nordhessen feiert genau 10 Jahre nach der Gründung im Stadtcafé

Im August 2021 gab es im Stadtcafé in Kassel ein besonderes Fest: Die Selbsthilfegruppe Transident Nordhessen feierte ihr zehnjähriges Bestehen. Exakt auf Tag und Stunde genau zehn Jahre nach der Gründung trafen sich Aktive und Ehemalige. „Es war schön und eine tolle Feier“, sagt Jasmine Hubenthal, Gruppenleitende seit 2019.

Angefangen hat die Gruppe als „TS and Friends Kassel“ 2011 noch im Café Querbeet. 2013 folgte der Schritt als offizielle Selbsthilfegruppe bei der KISS. Ein erster großer Schritt zur Sichtbarkeit als Gruppe. Über die KISS kamen weitere Unterstützer hinzu, so auch die Krankenkassen mit finanzieller Selbsthilfeförderung. Etwa zwei Jahre später wurde aus TS and Friends Kassel die Gruppe Transident Nordhessen. „Der alte Name führte zu etlichen Anfragen nach Escortservice“, erzählt Jasmine Hubenthal. Die gibt es heute über die Facebookseite der Gruppe noch immer, aber nicht mehr ganz so häufig.

Jahrelange Odyssee
In der Gruppe treffen sich Transidente Menschen, Inter- und Genderdiverse Menschen aus dem nord- und osthessischen Raum sowie dem Raum Südniedersachsen. Sie alle fühlen sich nicht den ihnen bei ihrer Geburt zugewiesenen Geschlecht zugehörig. Sie haben oft eine jahre- teils jahrzehntelange Odyssee hinter sich. Herauszufinden, wer sie sind, welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen und dies zu akzeptieren, ist ein Prozess, auf den sie sich einlassen müssen. Dazu gehört nicht zuletzt der Mut, dazu zu stehen und zu erkennen: So wie bisher kann es nicht weitergehen.

Die Selbsthilfegruppe hat vielen bei Themen wie Geschlechtsangleichung, Sich Outen sowie Ängste überwinden geholfen. Manchmal geht es um ganz praktische Fragen zu Anlaufstellen, Ärzten, Therapeuten oder zum Arbeitsplatz. Aktuell gibt es 45 aktive Mitglieder bei Transident Nordhessen, mit Ehemaligen rund 60. Der Bedarf, sagt die Gruppenleitende, ist definitiv da, denn das Leid ist oft groß und manche*r wagt es nach wie vor nicht, sich zu outen, also öffentlich zu bekennen.

Bundesweit vernetzt
Die Gruppe Transident Nordhessen ist seit 2015 bei Facebook vertreten und gut vernetzt mit anderen Angeboten in Kassel sowie bundesweit, beispielsweise mit der dgti (Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V.) oder dem Verein Intergeschlechtliche Menschen. In Kassel ist die Gruppe mit der Trans*Beratung oder T*räumchen Kassel vernetzt, einem Angebot, das sich für die Bedarfe und Belange von jungen Queers bis 27 Jahre einsetzt. Beides sind Projekte der Aids-Hilfe Kassel. „Die Gruppe Transident Nordhessen ist Hilfe zur Selbsthilfe, für professionelle Beratung verweisen wir weiter“, so Jasmine Hubenthal.

Die Mitglieder sind auch untereinander gut vernetzt, vor allem über WhatsApp mit einer Stammgruppe und einer Gruppe für neue und bisherige Interessierte. So ist jede*r für jede*n schnell erreichbar. Geht es jemandem schlecht, braucht jemand Infos, ist Hilfe zeitnah greifbar und niemand muss auf das monatliche Gruppentreffen warten. Wobei Jasmine Hubenthalt jedes Neumitglied prüft und damit sicherstellt, dass auch die WhatsApp Gruppen ein sicherer Raum sind. Diskretion ist auch online Pflicht.

Zwar sind transidente Menschen mittlerweile in unserer Gesellschaft selbstverständlicher geworden, doch Jasmine Hubenthal registriert einen rauer gewordenen Ton in den vergangenen zwei bis drei Jahren. Hasskommentare und transfeindliche Äußerungen aus politisch rechten und/oder religiös fundamentalistischen Kreisen nehmen zu. Sätze wie „Euch dürfte es gar nicht geben“, bekam die Gruppenleitende schon zu hören. Und manchmal fällt es schwer, nachts ohne Angst durch die Stadt zu gehen.

Angebot für An- und Zugehörige
Umso wichtiger sind Gemeinschaft und Austausch, der in Kassel seit zehn Jahren in Selbsthilfe möglich ist. Die Gruppe trifft sich wieder monatlich bei der KISS, es gibt auch Treffen im Stadtcafé. In der Corona-Zeit wurden neben den Whats App Gruppen auch Video-Treffen angeboten. Seit dem Frühjahr gibt es zusätzlich ein Angebot für unterstützende An- und Zugehörige, erstmal nur über Whats App.

„Der Bedarf ist da“, sagt Jasmine Hubenthal, vermutlich sei die Hemmschwelle größer, denn noch ist die Resonanz nicht so hoch wie erwartet. Möglich wäre sogar eine Selbsthilfegruppe mit Präsenztreffen für An- und Zugehörige unter dem Dach der KISS. Die ist allerdings noch Zukunftsmusik. Betonung liegt auf „noch“.

Mehr zur Gruppe finden Sie hier:
 Transident Nordhessen (Öffnet in einem neuen Tab)