KISS Interview: Restless Legs

Interview im KISS Selbsthilfemagazin 2022

„Das ist wohl psychosomatisch“
An Restless Legs Erkrankte warten oft lange auf die richtige Diagnose

Rita Schirjack erlebte umgekehrt eine Odyssee von rund fünf Jahren, bevor endlich das Restless Legs Syndrom (RLS) bei ihr diagnostiziert wurde. Sie leitet die Selbsthilfegruppe zu RLS und musste lange mit der Diagnose „psychosomatisch“ leben.

„Mein Hausarzt hat selbst RLS, trotzdem hat er die Krankheit bei mir nicht erkannt“, sagt die Gruppenleiterin. Vielleicht, weil ihre Symptome etwas atypisch waren. Sie litt vor allem unter Erschöpfungszuständen, war ein halbes Jahr krankgeschrieben und konnte im Haushalt nur das Nötigste erledigen. Soziale oder kulturelle Aktivitäten wurden unmöglich.

Der Hausarzt verschrieb ihr Anti-Depressiva. Die nicht halfen. Sie wechselte den Arzt, der sie in eine psychosomatische Reha schickte. Dort wurde sie auf Depression behandelt. Als sich Schmerzen in den Füßen dazu gesellten, ging sie zum Orthopäden. Was ihr ebenfalls nichts nutzte. Sie selbst glaubte nicht an eine psychosomatische Ursache, denn die Medikamente zeigten keine Wirkung und die Beschwerden blieben. Erst als ein HNO-Arzt sie zum Psychiater schickte, kam die Wende. Der Psychiater war auch Neurologe und sagte: „Ich habe da einen Verdacht.“ Er gab ihr ein Medikament, das endlich half. Sie konnte wieder schlafen und fühlte sich schon nach ein paar Tagen besser. „Es war toll, endlich eine Diagnose zu haben.“

Heute ist sie gut eingestellt und fährt bis Osnabrück zu ihrem Neurologen. Und weiß aus der Gruppe, dass viele RLS-Erkrankte lange auf die richtige Diagnose warten mussten.

Online-Vortrag: „Wir finden nichts, dann ist das wohl psychosomatisch“
Wir finden nichts, dann ist das wohl psychosomatisch“, so der Titel des Vortrags im Rahmen der Hessischen Digitalen Selbsthilfetage von Dr. Thorsten Bracher, Direktor der Vitos Klinik für Psychosomatik in Eltville. In dem Vortrag, organisiert von der Selbsthilfestelle des Rheingau-Taunus Kreises, wird unter anderem aufgezeigt, wie häufig psychosomatische Beschwerden sind, ob man sie sich nur einbildet und wie sie entstehen. Der Vortrag dauert rund 80 Minuten und erläutert das Thema umfassend und verständlich. Er ist kostenfrei im Internet unter www.selbsthilfe-hessen.de/Veranstaltungen abzurufen.

• Der Referent wendet sich gegen das bei Medizinern noch immer verbreitete Bild, dass Körper und Seele getrennt sind. Vielmehr betrifft jede Erkrankung immer Körper und Seele. Patienten kommen mit unspezifischen körperlichen Symptomen zum Arzt wie Kopf- oder Rückenschmerzen, Übelkeit, Atembeschwerden, sehr häufig Schwindel. Die Symptome sind nicht eingebildet, Patienten leiden tatsächlich, selbst wenn keine körperlichen Ursachen gefunden werden.

• Für die Diagnose somatoforme Störung müssen verschiedene Faktoren gegeben sein: Unter anderem körperliche Symptome ohne ausreichende somatische Erklärung, die den Patienten stark beeinträchtigen, die Symptome haben eine Funktion (den sogenannten Krankheitsgewinn), die Symptome werden durch psychische Prozesse ausgelöst. Somatorforme Störungen sind nach Angststörungen und Depression am dritthäufigsten, 10 bis 20 Prozent der Menschen erleben einmal im Leben eine solche Störung.

• Ärzte sollten, so der Referent, eine psychosomatische Störung früher in Erwägung ziehen und für die Diagnostik das Bio-psycho-soziale Modell (Körper-Psyche-soziales Umfeld) anwenden. Wird nicht richtig diagnostiziert, kann es verschiedene Probleme geben. So werden mehrere Therapieversuche unternommen; es können hohe Kosten entstehen; häufig gibt es lange Praxisodysseen und es dauert lange, bis ein Patient die richtige Diagnose bekommt.

• Im Hinblick auf die Ursachen von psychosomatischen Beschwerden geht der Referent auf verschiedene Hypothesen ein. Stressoren aus der Kindheit können die neuronalen Netzwerke im Gehirn verändern. Dauerhafter Stress setzt den Körper in ständige Alarmbereitschaft, chronischer Stress führt zu vielen Symptomen wie Depressionen, Schlafstörungen, Muskelverspannungen. Selbst auf die Gene hat er vermutlich Einfluss.

• Am Schluss stellt Dr. Bracher einen Therapieplan vor. So brauche es unter anderem einen verantwortlichen Arzt, keine vorschnelle Überweisung in psychotherapeutische Behandlung, ein gutes Vertrauensverhältnis, Gespräche und einen Hausarzt, bei dem die Fäden zusammenlaufen.

• Wichtig ist ihm am Schluss nochmals zu betonen, dass es dem Patienten tatsächlich schlecht geht und psychosomatische Beschwerden nicht eingebildet sind.

Mehr zur Gruppe finden Sie hier:
 Restless Legs Selbsthilfegruppe Nordhessen (Öffnet in einem neuen Tab)
Vortrag:  PSYCHOSOMATIK - THORSTEN BRACHER (Öffnet in einem neuen Tab)