KISS Interview: Selbsthilfegruppe "Rabenmütter"

Interview im KISS Selbsthilfemagazin 2019

„Raben sind gute und vorbildliche Mütter“
Selbsthilfegruppe für Mütter mit Borderline-Thematik arbeitet an Lösungen und Ressourcen

Raben sind gute und vorbildliche Mütter. Von daher ist der Name der Selbsthilfegruppe „Rabenmütter … und solche die es werden wollen“ zweideutig. Denn er spielt auch mit den Vorurteilen, die im Hinblick auf Mütter mit einer Borderline-Störung in den Köpfen der Menschen existieren. Die Fragen und Zweifel dieser Mütter können jetzt in Kassel in einer Selbsthilfegruppe zum Thema gemacht werden. Vielleicht gekoppelt mit der Erkenntnis, dass sie gar nicht so speziell sind, sondern so gut wie allen Müttern durch den Kopf gehen.

Für Gruppengründerin Laura Jung ist ein Satz ganz wichtig: „Eine gute Mutter sorgt zuerst für sich selbst.“ Denn wenn es der Mutter gut geht, geht es auch den Kindern gut. Die alleinerziehende Mutter ist Sozialarbeiterin, derzeit in Elternzeit, mit einem zehnjährigen Sohn und einer einjährigen Tochter. Sie hatte mit der Borderline-Thematik zu tun, sagt aber heute, sie habe die Symptome überwunden. Doch sie kennt die Fragen und Herausforderungen, denen Mütter gegenüberstehen.

Borderline-Trialog
Entstanden ist die Gruppe aus dem Borderline Trialog Kassel. Der Verein macht zahlreiche Angebote zum Thema Borderline und hat sich aus der Selbsthilfe heraus gebildet. Laura Jung ist selbst Mitglied im Verein und als Mutter liegt ihr das Thema der Gruppe „Rabenmütter“ am Herzen. Ein erstes Treffen gab es im Januar, momentan finden Vorgespräche mit drei weiteren Interessentinnen statt. Ohne Anmeldung und Vorgespräch ist ein Besuch der Gruppe nicht möglich. Die Gruppenleiterin will sicherstellen, dass die Frauen nicht gerade in einer Phase sind, in der eher eine Therapie nötig wäre. „Es muss passen“, erläutert sie. Die Selbsthilfegruppe dient dem Austausch unter Betroffenen und ersetzt keine Therapie. Zielgruppe sind Mütter mit einer Borderline-Thematik und Kindern im Alter zwischen 0 und 18 Jahren.

Ängste und Selbstzweifel
Diese Mütter haben viele Ängste und Selbstzweifel, denn sie müssen neben der Erziehung und Versorgung ihrer Kindererziehung mit den eigenen Emotionen und mit ihren eigenen Ansprüchen umgehen. Das kann schnell zu Verunsicherung führen, wenn die Hebamme das eine rät und die eigene Mutter etwas Anderes. Dazu kommen die Vorurteile im Umfeld und ein lädiertes Selbstwertgefühl. Die Gruppe will die Mütter ermutigen. Ob Borderline oder nicht, „viele Mütter haben Zweifel und Ängste, ob sie eine gute Mutter sind“,sagt Laura Jung.

Ihr ist eine ressourcenorientierte Sichtweise wichtig. Ein Wechsel der Perspektive. Die Gruppenteilnehmerinnen kommen als Mütter und Frauen zusammen, der Fokus liegt nicht auf der Störung. Natürlich tauchen bestimmte Themen auf, doch der Schwerpunkt liegt nicht auf dem Problem, sondern der Lösung: Was kann ich daraus oder damit machen? Was kann ich schon gut? Was bedeutet Nähe und Distanz zum Kind und stimmt die eigene Wahrnehmung? Gibt es überhaupt ein Thema, das spezifisch ist für eine Mutter mit Borderline-Thematik oder sind nicht die meisten dieser Themen bei allen Müttern präsent?

Ressourcenorientierung
An solchen Themen wollen die Gruppenteilnehmerinnen unter anderem im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation miteinander arbeiten, sich austauschen und wertschätzend miteinander umgehen. Es ist positiv zu werten, wenn eine Mutter sich Gedanken macht und in die Gruppe kommt. In die Selbsthilfe zu gehen, sich vorzustellen, offen über Themen zu reden – das erfordert Mut und braucht Fähigkeiten und stärkt den Selbstwert. Für die Gruppengründerin sind das Beispiele für das ressourcenorientierte Denken.

Eigenverantwortung stärken
Die Gruppe will die Eigenverantwortung stärken. „Raus aus der Opferrolle“ benennt Laura Jung als wichtiges Thema. „Wenn ich etwas vermassele, habe ich es vermasselt“, sagt sie. Dafür gilt es, die Verantwortung zu übernehmen. Neben den Themen, die von den Frauen selbst kommen, sollen Punkte aus einem Buch speziell für Mütter behandelt werden, beispielsweise Aufgaben zur Identität. An jedem Punkt sollen Möglichkeiten aufgezeigt und Impulse gegeben werden. Hilfreich sind schon der Austausch untereinander, das offene Gespräch und die Erfahrung, nicht alleine zu sein mit seinen Fragen und Zweifeln. Denn Therapie ist das eine, doch was kommt danach? Hier, sagt Laura Jung, „ist die Selbsthilfe ein unterschätztes Gut.“

Information zu Borderline
Der Borderline-Trialog entwickelt ein Manual, das als Gegengewicht zum pathologischen Blick auf die Borderline-Störung versteht. Bei Menschen mit besonderen Persönlichkeiten sind prägnante Veränderungen innerhalb der Persönlichkeitsstrukturen und des Verhaltens zu sehen. Sie umfassen die verschiedenen Lebensbereiche des Denkens, Fühlens und Handelns und bereichern oftmals das Leben dieser Persönlichkeiten. Besonders beeindruckend ist das vielfältige Repertoire an Bewältigungsstrategien, welche in Krisen und anderen schwierigen Lebenssituationen angewandt werden, um diese kreativ überwinden zu können. Die leidenschaftlich flexiblen Persönlichkeiten zeigen unter anderem ein leidenschaftliches Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassen- Werden zu vermeiden und eine hohe Bindungsbereitschaft. Sie haben ein Muster intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das geprägt ist durch Aufgeschlossenheit, Offenheit und Fürsorglichkeit. Weiterhin haben diese Menschen eine kreative Selbstwahrnehmung sowie ein hohes Maß an Offenheit. Affektiver Stimmungswandel mit Episoden hoher Kreativität und tiefsinniger Gedanken gehören ebenso dazu wie leidenschaftliche Emotionen, ein hohes Maß an Lernfähigkeit, Durchhaltevermögen und Standhaftigkeit und die Fähigkeit, sich durch Phantasie, Kreativität oder Fokussierung äußeren Belastungen zu entziehen beziehungsweise diese auszublenden.
Weitere Aspekte und Punkte zum Manual: www.borderline-kassel.de

Mehr zur Gruppe finden Sie hier