Geschichte des Karnevals in Kassel

Bitte halten Sie die Überschrift nicht für einen Karnevalswitz, etwa in der Art, als wenn man sagte, die Kölner übten sich in den närrischen Tagen nicht in uraltem Brauchtum, sondern sie hätten einfach nur Spaß an der Freud.

Und so wie jene das Brauchtum gewaltig hegen und pflegen , können wir nur sagen: Wir können das auch - wenn wir denn wollten. Aber wir wollen es nicht und außerdem käme es dem Magistrat unserer Stadt zu teuer. Obschon es für die Beamten...? (siehe unten).

Es fängt nämlich mit einer alten Urkunde aus dem Jahre 1431 an, die eigentlich eine Abrechnung der Kosten ist, die der sogenannte Brotreichenstag (Brotreigenstag) der Stadtkasse verursacht. Und in der fast als Entschuldigung erwähnt wird, dass diese Sitte "von altersher" überliefert sei. Also "500 Jahre Kasseler Karneval" ist eine glatte Tiefstapelei.

An diesem Brotreichenstag (Donnerstag vor Rosenmontag) wurden die Schüler nebst Schulmeistern, aber auch die Bademägde (die Hostessen jener Zeit) vom Magistrat zu Brot, Speck, Kalbfleisch, Kraut, Nüssen, Käse, Wurst, Schmalz und Bier eingeladen! Manchmal wurde eigens ein Ochse gemästet. Die Beamten aber bekamen ihren Anteil und Wein ins Haus geliefert. (Wegen der Bademägde?) Es muss ein schönes Fest gewesen sein. Der Bürger Hans Preuß wollte beispielsweise seinen Weinberg und mehrere Äcker Land auf dem Möncheberg hergeben, wenn man ihm zeitlebens zum Brotreichstag ins Rathaus laden würde.

Jener Brotreichenstag anno 1431 ist aber besonders erwähnenswert. Der junge Landgraf Ludwig II., der Friedsame, hatte wenige Jahre zuvor durch den Sieg von Englis des Landes Ruhe gesichert. In der Fastnacht des Jahres 1431 zeigte er seinen Kasseler Landeskindern seine Verbundenheit und Dankbarkeit. Während am Sonntagnachmittag in der landgräflichen Burg sich kühne Ritter in Einzel- und Gruppenkämpfen um die Gunst der schönen Damen bewarben, belebte sich nach dem "Brotreichenstag" vom Donnerstag auch in der Stadt das Fastnachtstreiben aufs neue. Sänger und Gaukler zeigten sich auf den Plätzen, Spielleute ließen ihre Instrumente in den Schenken erklingen, und durch alle Gassen tobte der Mummenschanz, bis die "Bürgerglocke" Ruhe in der Stadt gebot.

Am Rosenmontag begann um die Mittagszeit der festliche Umzug aller Gilden in Harnisch und Wehr mit fliegenden Zunftfahnen. Auf dem Markt am Rathaus hatten sie Aufstellung genommen und zogen dann zum Schloss, wo der Landgraf sie begrüßte. Den späten Abend verbrachten die Gilden festlich vereint in ihren Zunftstuben. Die Kaufleute, die "Hansagreben", zechten im Weinkeller unter dem Kaufhause neben der Martinskirche.

Am Dienstag glich die Stadt einem "Immenschwarme", der ausfliegen will. Überall vermummte Gestalten vom frühen Morgen an. Aus alten Bürgerhäusern und Schenken drang frohes Lachen, klang heller Jubel". Für die Stadt wurde dieser Abend der Höhepunkt des Festes. Der Landgraf verließ die Burg und besuchte als Gast seine Bürger. Zum ersten Male setzte er seinen Fuß über die Schwelle des stolzen Rathauses, und im "untersten Keller" zechten Bürger und Ritter um den Landgrafen geschart in froher Runde bis in den Aschermittwoch hinein.

In diesem und ähnlichem Stile gings dann durch die Jahrhunderte. Mal gab sich der Hof mehr, manchmal weniger "bürgernah". Die karnevalistischen Feste der Bürgerschaft aber hatten zugenommen. Sowohl der Menge wie auch der Art nach.

Während die Gattin des Landgrafen Friedrich II. nach einer Notiz der "Hessen-Casselischen Polizy-Commerzien-Zeitung" vom 14. Februar 1771 nunmehr außer den bisherigen Karnevalslustbarkeiten des Schlosses durch Maskeraden und Bälle in den letzten Tagen vor der Fastenzeit neue Höhepunkte gab, feierten die Bürger die gesamte Fastnacht von Januar an mit wšchentlich stattfindenden Maskenbällen.

Diese Veranstaltungen donnertagsabends ab 10 Uhr im Opernhaus oder ab 6 Uhr beim Gastwirt Goullon im Hause "Zur Post" am Königsplatz waren so beliebt, dass auch Zuschauern Geld abgenommen werden konnte, obschon sie arg frieren mussten.

Aber auch das störte die höchsten Herrschaften nicht, sich warm zu tanzen. Es wird berichtet, dass man den Landgrafen in seiner immer benutzten venezianischen Maske oft erkannte, die Landgräfin hingegen ihr Inkognito zu bewahren wusste.

Der damals aufkommende "unsittliche" Wiener Walzer ärgerte die Moralisten. "Die verzweifelten Walzer, die mich allemal in Eifer bringen... darum, weil ich sie als einen unheimlichen Gift ansehr, der die schönste Jugend oft verdirbt" , so ein Zeitgenosse.

"Freude herrscht in Kassels Hallen, Freude in des Volkes Brust, Jubeltöne hört man schallen zu der schönsten Fastnachtslust." So beginnt ein Gedicht, das am Rosenmontag des Jahres 1812 dem König von Westfalen, Napoleons Bruder Jerome, überreicht wurde. Solch einen Karneval hatte Kassel bisher noch nicht erlebt. Auf Schloss Wilhelmshöhe liebte man besonders die Maskenbälle. Bis zu sechzehnmal wechselte "König Lustig" in einer Nacht das Kostüm. Die Bevölkerung aber eroberte in Maske und Kostüm die Straßen. Ein Umzug der Metzger mit einem geschmückten Ochsen und einer Riesenwurst, die der König und seine Gattin gnädigst zum Geschenk annahmen, bildeten den Höhepunkt.

Unter den beiden Kurfürsten wurde es dann etwas ruhiger, wenn auch nicht weniger aufregend. So soll doch im Jahre 1822 trotz strenger polizeilicher Vorschriften anlässlich eines Maskenballes im Stadtbausaal der Lakai Bechstädt anstelle des späteren Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. mit einem Glas Grog vergiftet worden sein. Er hatte mit seinem Chef das Kostüm getauscht.

Dass die Preußen nach ihrer "Machtübernahme" 1866 die Staatskasse klauten, um Bismarck damit zum berüchtigten Reptilienfonds zu verhelfen, konnte die Kasseler Karnevalisten wenig beeindrucken. Im Gegenteil, jetzt ging es erst richtig los. Und die Preußen spielten mit.

Schon 1863 hatte der beliebte Seifenfabrikant Christian Reul den "Carnevalsverein" gegründet. Erstmalig gab es nun auch in Cassel nach rheinischem Muster ein "Elfer Comitä". Die Veranstaltungen des Vereins begeisterten so, dass 1865 bereits eine Aufnahmebeschränkung für Mitglieder erwogen werden musste. Dabei war der Eintrittsbeitrag so hoch wie ein Wochenlohn eines Arbeiters.

Weitere Vereinsgründungen folgten. So u.a. der "Columusrat", eine Art Prinzengarde, aus deren Mitte der Prinz, "Columus" genannt, gewählt wurde und die "NG" = "Namenlose Gesellschaft". Unter Mithilfe der preußischen Garnison konnten riesige Karnevalsumzüge veranstaltet werden. Allein der Prospekt des Zuges von 1886 im Postkartenformat aneinandergereiht, hat eine Länge von 5 Metern = Bilder von 51 Gruppen und Wagen.

Diese Vereine jedoch überlebten nicht die Jahrhundertwende. Sie wurden abgelöst vom Verein der Rheinländer. Ursprünglich eine Vereinigung von nach Kassel versetzten Polizeibeamten. Das Gründungsdatum der heute noch bestehenden Karnevalgesellschaft ist der 1. Oktober 1892.

Andere Vereinigungen folgten. Heute und seit Jahren sind in der Dachorganisation "Gemeinschaft Kasseler Karnevalgesellschaften" alle Kasseler Karnevalvereine vereint.

Autor: Dr. Alfred Stommen