Caroline Ring: Wanderer zwischen den Welten - was Vögel in Städten erzählen
Ein Tipp von Ann-Kristin Kemna
Die Biologin Caroline Ring hat ganz Deutschland bereist, um der Vogelwelt in urbaner Umgebung auf die Spur zu kommen und dabei ganz erstaunliche Erkenntnisse gewonnen, die sie in ihrem Sachbuch "Wanderer zwischen den Welten - was Vögel in Städten erzählen" offenlegt. Hätten Sie vermutet, dass Berlin die Hauptstadt der Nachtigallen ist und sich dort so viele Vogelarten tummeln wie fast nirgends sonst in der Bundesrepublik?
Die Autorin nimmt uns auf vielfältige Expeditionen in deutsche Städte mit, von beschaulich bayrisch wie Bamberg bis monumental-mondän wie München und zeigt deutlich, dass die vielbeschworene Wildnis, nach der es uns verlangt, nur allzu oft in der verborgenen Welt direkt hinter dem eigenen Wohnraum beginnt. Kommt es nicht einer Ironie gleich, dass sich viele über den Mangel an ornithologischen Eindrücken in der angeblichen urbanen Einöde beklagen, aber weder Auge noch Ohr auf die versteckten Schönheiten richten, die sie unmittelbar umgeben? Der Gesang einer Amsel, der Blick eines Rotkehlchens, aus dem die Weisheit der Welt spricht oder der flüchtige Anblick einer Gruppe Spatzen, die davonstiebt – gerade im Alltäglichen offenbart sich die überraschende Lebenswelt der Vögel in unserer unmittelbaren Nähe.
So vielfältig und verschieden wie die Städte präsentieren sich auch die gefiederten Protagonisten: vom vorwitzigen Grünspecht, der in Mainz als Nemesis der Fassaden fungiert, bis zu Uhubabys, die unter dem tausendjährigen Rosenstock des Hildesheimer Doms flanieren und mit ihren aberwitzigen Versteckspielen den ganzen altehrwürdigen Ort in Atem halten. Und nicht zuletzt schildert Caroline Ring Begegnungen mit Menschen, deren engagierter Einsatz für die Vogelwelt den Leser gleichermaßen tief beeindruckt und berührt zurücklässt, sei es nun für bekannte „Allerweltsvögel“ wie den pfeilschnellen Mauersegler oder den vom Aussterben bedrohten urigen Waldrapp. Ein zauberhaftes Buch, bei dem sowohl Fakten als auch das Erzählerische nicht zu kurz kommen und geschickt miteinander vereint werden.
Standort: In der Zentralbibliothek als Buch (Untergeschoss, Signatur: T 75 Rin) entleihbar.
Medien werden auf Wunsch an den Standort Ihrer Wahl transportiert.
Caroline Ring ist am Dienstag, 11. Juli 2023, um 19.30 Uhr für eine Lesung zu Gast in der Zentrale der Stadtbibliothek und stellt "Wanderer zwischen den Welten – was Vögel in Städten erzählen" vor.
Tipps der letzten Monate
Antti Tuomainen: Der Kaninchen-Faktor
Henri Koskinen ist Versicherungsmathematiker, er berechnet seit Jahren Statistiken jeglicher Art für Versicherungen. Mit der modernen Personalführung seines neuen Chefs und dessen Team-Building-Maßnahmen kommt er nicht klar. Vor die Wahl gestellt, im Keller ein Minibüro zu haben oder zu gehen, kündigt Henri. Vergeblich sucht er einen neuen Arbeitsplatz, denn Versicherungsmathematiker wie er werden nicht mehr gebraucht. Dann steht auch noch ein Anwalt vor seiner Tür, der ihm mitteilt, dass sein Bruder verstorben ist und ihm seinen Abenteuerpark hinterlässt.
So wird der Versicherungsmathematiker Henri Koskinen Abenteuerparkbetreiber. Und damit fangen für Henri die Probleme so richtig an. Denn schnell wird ihm klar, dass etwas mit den Finanzen des Parks nicht stimmt. Auch das Parkpersonal hat einige Eigenheiten. Es dauert nicht lange, da stehen zwei dubiose Gestalten in seinem Büro und verlangen, dass Henri die Schulden seines Bruders an sie zurückzahlt. Und zur Untermauerung ihrer Forderungen zeigen sie Henri, was mit demjenigen passiert, der seine Schulden nicht zahlt. Zu allem Überfluss interessiert sich auch die Polizei für seinen Abenteuerpark. Dass Henri sich auch noch in Parkmitarbeiterin Laura verliebt, vereinfacht seine Situation nicht.
Antti Tuomainen, einer der angesehensten und erfolgreichsten finnischen Schriftsteller und ausgezeichnet mit dem Clue Award, dem finnischen Krimipreis, schafft es, aus einer einfachen Situation einen skurrilen, aber unterhaltsamen Spannungsroman zu kreieren, der auch immer etwas Komödiantisches enthält. Der Roman war Nr. 1 in Finnland. Für Freunde des schrägen finnischen Humors.
Ein Tipp von Sabine Koch
Standort: In der Zentralbibliothek als Buch (Untergeschoss Spannung, Signatur: Tuo 1) und als ebook über die Onleihe entleihbar.
Medien werden auf Wunsch an den Standort Ihrer Wahl transportiert.
Karen Duve: Sisi
Kein Pferd ist zu wild, kein Sprung zu gefährlich, kein Wald zu unwegsam für Kaiserin Elisabeth von Österreich, Königin von Ungarn!
Karen Duve präsentiert uns in ihrem Roman eine gereifte, ungestüme Sisi: eine gewiefte Ränkeschmiedin weitab des klassischen Bildes der naiven, verzärtelten Kaiserin, die weder unstandesgemäßen Umgang mit nichtadeligen Personen wie Zirkusreiterin Elisa und Jagdführer Bay Middelton fürchtet noch den Tratsch, der unweigerlich in der durchlaucht-spießigen Hofgesellschaft damit einhergeht. Rasante Parforce-Jagden in England scheut sie ebenso wenig wie die unbarmherzige Hirsch-Hatz in Ungarn auf ihrem heißgeliebten Schloss Gödöllö. Mit der gleichen rücksichtslosen Selbstverständlichkeit verführt sie ihre unbedarfte, im Umgang mit Pferden talentierte Nichte Marie Wallersee zu allerlei Unfug, sodass das junge Mädchen zu einem Spielball der Wünsche der vielbewunderten Tante wird. Denn für die jugendliche Marie geht mit der Einladung Sisis nach Gödöllo ein Traum in Erfüllung: jeder Tag ist von früh bis spät Jagdreiten und Pferdetraining gewidmet, und die Abende sind mit festlichen Empfängen in illustrer Gesellschaft ausgefüllt - dies kommt der begabten, aber unter der niederen Herkunft ihrer Mutter leidenden Marie nur gerade recht. Die aufmerksame Zuwendung und Fürsorge der Kaiserin, die in Marie eine Art verjüngtes Mini-Me zu sehen scheint, hat jedoch seinen Preis…
Ein wunderbarer, an zeitgenössischen Quellen detailliert recherchierter Roman, der selbst allen, denen die herkömmliche Sisi nur ein Gähnen entlockte, dieser eher unbekannten, unbändigen Seite der freiheitsliebenden Kaiserin Respekt abringen wird. Denn Duve offenbart uns eine wahre Hippomanin, die todesmutig weder Schmutz noch Sturz fürchtet.
Nicht nur, aber besonders empfehlenswert für alle Pferdebegeisterten sowie natürlich alle historisch Interessierten, die einen Blick hinter die Kulissen des überfrachteten Sisi-Mythos werfen möchten.
Ein Tipp von Ann-Kristin Kemna
Standort: In der Zentralbibliothek als Buch (Untergeschoss Romane, Signatur Duv 2) und als MP3-Hörbuch (Erdgeschoss Hörbuch, Signatur Duv MP3).
Medien werden auf Wunsch an den Standort Ihrer Wahl transportiert.
Diane Cook: Die neue Wildnis
Ein gewagtes Sozialexperiment in einem Amerika der Zukunft: ein Leben in den Städten ist gefährlich geworden – dort herrscht neben Enge, Abfallbergen und Perspektivlosigkeit auch eine akute Gesundheitsgefahr für Leib und Leben. Einen Ausweg aus dieser dystopischen, durch Umweltzerstörung an den Rand ihrer Existenz gebrachten Zivilisation gibt es nur für wenige Menschen: Die sogenannte Neue Wildnis, eine schier gigantische Region ungezähmter, staatlich strikt geschützter Natur, bietet einer Gruppe von ausgewählten Pionieren die einmalige Chance, ihr städtisches Leben aufzugeben und als ewig Wandernde durch die Neue Wildnis zu ziehen.
Auch wenn ein Traum in Erfüllung gegangen scheint, bezahlen die Auserwählten für diese vermeintliche Freiheit, in der ein Fehltritt auch den Tod durch Ausschluss aus der Gemeinschaft bedeuten kann, indem sie ihr Leben strikten Regularien unterwerfen. Das Motto, keinerlei Spuren der Zivilisation in der Natur zu hinterlassen, verdammt die Gemeinschaft der Pioniere zu einem Leben wie auf der permanenten Flucht vor sich selbst.
Dennoch wagt Protagonistin Bea den Schritt in die Neue Wildnis im Westen Amerikas, da sie darin die einzige Chance für ihre schwerkranke Tochter Agnes sieht, eine gesunde Zukunft zu erleben. Denn ein steht fest: das Leben in den überfüllten, verseuchten Städten würde früher oder später den Tod der Fünfjährigen bedeuten.
Abseits jeglicher Lagerfeuer-Hippie-Romantik schildert Autorin Diane Cook mit herzzerreißender Härte schonungslos das Leben in der Neuen Wildnis. Ein Wunschtraum für die in urbanen Ballungsgebieten zusammengepferchte Bevölkerung, doch ebenso befreiend wie gefährlich bleibt der Aufenthalt in der Region. Am Ende steht die Frage offen, was die eigentliche Illusion ist: diejenige von der Freiheit in der vermeintlich idyllischen Wildnis oder die bloße Sehnsucht nach der Utopie einer unsicheren Alternative.
Ein Roman, der uns mit dem urtümlichen Gefühl zurücklässt, dass es in der scheinbar unberührten Natur unwägbare Dinge gibt, die stärker sind als jedes Menschenwesen, möge es sich selbst für noch so intelligent und zivilisiert halten. Und der deutlich macht, wie die Natur gegenüber unbedachten, idealistischen Menschen wirklich ist: Unberechenbar. Unbarmherzig. Unbeugsam. Gefährlich.
Ein Tipp von Ann-Kristin Kemna
Standort: In der Zentralbibliothek als Buch (Untergeschoss Romane, Signatur Coo 4) und als MP3-Hörbuch (Erdgeschoss Hörbuch, Signatur Coo MP3)
Medien werden auf Wunsch an den Standort Ihrer Wahl transportiert.
Samuel Bjørk: Dunkelschnee
Norwegen im Jahr 2001: Auf einem Feld werden zwei ermordete Jungen gefunden, zwischen ihnen liegt ein toter Fuchs. Acht Jahre zuvor gab es einen vergleichbaren Fall in Schweden, der nie aufgeklärt wurde. Ebenfalls wurden zwei Jungen ermordet und auch zwischen diesen beiden Leichen wurde ein totes Tier (Hase) drapiert. Das Team um Kommissar Munch übernimmt den Fall. Zu ihnen stößt Mia, frisch „rekrutiert“ von der Polizeiakademie, aufgefallen wegen ihrer Fähigkeit, mehr auf Bildern zu sehen und daraus schließen zu können, als jeder andere. Aber der Fall stellt sich als komplizierter heraus, als alle vermutet hätten.
Hochspannung auf 560 Seiten. Es gibt auch mitunter sehr interessante Nebencharaktere. Wer Kommissar Munch und Mia schon kennt, kann sich auf diesen 4. Band freuen. Wer sie noch nicht kennt, kann genauso gut mit diesem Band anfangen, da Mia ja hier erst zu dem Team dazu stößt. Man könnte statt Band 4 auch Band Null sagen, die Geschichte spielt sich etwa 10 Jahre vor dem ersten Band ab.
Ein Tipp von Christine Rettig
Standort: Zentralbibliothek (Untergeschoss Spannung, Signatur Bjo 1), auch als kostenpflichtiger Bestseller im Bestand (Erdgeschoss Bestseller)
Elke Heidenreich: Ihr glücklichen Augen
Elke Heidenreich ist in ihrem Leben sehr viel gereist. Gerne ließ sie sich durch fremde Städte und ferne Länder treiben. Nirgendwo jedoch ist sie ausgetretenen Pfaden gefolgt und sie hat sich ihre eigenen Wege gebahnt, hat ihre eigenen Entdeckungen gemacht. Und oft führte sie ihr Weg zu den Opernhäusern einer Stadt. Ihre Beobachtungen, Begegnungen und Erlebnisse hat sie gewissenhaft notiert. In „Ihr glücklichen Augen“ erzählt sie von einigen ihrer Reisen. Und sie erinnert sich an Ihre Gefühle, die sie bei ganz besonderen Reisen hatte. So war sie zum Beispiel von der Natur Neuseelands so überwältigt, dass ihr die Tränen kamen. Und immer wieder nimmt Elke Heidenreich auch Bezug auf die Gegenwart und ihr ist klar, dass sie so manche Reisen heute nicht mehr machen kann, weil die politische Lage es nicht mehr zulässt.
Das Buch ist, wie immer bei Elke Heidenreich, in einer wunderbaren Sprache geschrieben. Sie erzählt sehr offen und sehr persönlich von ihren Erlebnissen in den diversen Orten, dabei immer auch sehr unterhaltsam. Ein wirklich schönes Buch. Empfehlenswert!
Ein Tipp von Sabine Koch
Standort: In der Zentralbibliothek (Untergeschoss Romane, Signatur: Hei 27) und in den Stadtteil- und Schulbibliotheken Waldau und Niederzwehren als Buch (Romane, Hei 27) und in der Zentralbibliothek als Hörbuch (Erdgeschoss Hörbücher, Signatur: Hei)
Medien werden auf Wunsch an den Standort Ihrer Wahl transportiert.
Christian Guay-Poliquin: Das Gewicht von Schnee
Der Roman spielt in der kanadischen Provinz, es ist tiefer Winter, der Schnee fällt unaufhörlich und schon lange hat man durch einen landesweiten Stromausfall keinen Kontakt zur Außenwelt. Öl und Benzin wird rationiert, Medikamente und Lebensmittel sind knapp. Ein junger Mann verunglückt schwer mit dem Auto auf dem Weg in ein Dorf, es ist sein Heimatdorf, das er aber schon lange verlassen hatte. Er wird gerettet und überlebt die Notoperation der Tierärztin. Die Dorfgemeinschaft beschließt, dass der junge, schwer verletzte Mann von dem älteren Fremden namens Matthias, der in einer verlassenen Hütte außerhalb des Dorfes lebt, gepflegt werden soll. Matthias willigt nur ein, weil ihm dafür ein Platz in einem geplanten Transport zurück Richtung Stadt versprochen wird. So sind die beiden ungleichen und wortkargen Männer gezwungen, auf wenigen Quadratmetern zusammenzuleben, weil die Umstände es erfordern. Anfängliches Misstrauen und argwöhnisches Beäugen weicht zunehmend Vertrauen und Hilfsbereitschaft. Aber je mehr Schnee fällt, je schlechter die Versorgungslage wird, desto mehr ändert sich die Stimmung zwischen den Männern hin zu Egoismus, Neid, Feindseligkeit und sogar Hass.
„Das Gewicht von Schnee“ ist ein intensiver, psychologisch tiefgründiger und zugleich spannender Roman, erzählt vom namenlosen Verletzten aus der Ich-Perspektive. Dem kanadischen Autor Christian Guay-Poliquin gelingt es mit wenigen Worten und einer präzisen Sprache klare Bilder zu erschaffen. Er hat für diesen Roman zahlreiche Literatur-Preise erhalten.
Beeindruckend und lesenswert!
Ein Tipp von Sabine Koch
Yrsa Sigurðardóttir: Schnee
Im isländischen Hochland begibt sich ein Rettungstrupp auf die Suche nach einer vermissten Wandergruppe. Nach und nach werden vier menschliche Leichen gefunden, die gesamten Umstände sind allerdings äußerst seltsam. Warum sind die Körper mitten im Winter bei eisiger Kälte kaum bekleidet? Woher stammt die gefundene Blutlache? Wieso ist die Gruppe bei derartigen Witterungsverhältnissen überhaupt aufgebrochen? Waren es wirklich nur vier Personen? Und scheint es in der Gegend etwa zu spuken? Kann einen Menschen das eigene Gehirn wirklich derartig täuschen? Fragen über Fragen auf die es doch logische Antworten geben muss.
Hier haben wir einen Thriller mit Mystery-Effekten. Für alle Fans spannender Romane, die sich gern auch mal beim Lesen gruseln.
Ein Tipp von Christine Rettig
Heiko Werning, Ulrike Sterblich, Björn Encke: Von Okapi, Scharnierschildkröte und Schnilch. Ein prekäres Bestiarium
Die unsägliche Geschichte der Ausrottung des Beutelwolfs ist hinlänglich bekannt - er ist der Welt unwiederbringlich verloren gegangen. Doch auch andere, weniger bekannte Tiere, die kaum ein Mensch je sah, teilen sein Schicksal oder es droht ihnen bereits. In diesem vorzüglich recherchierten prekären Bestiarium, welches auf einer Podcast-Reihe (Kreaturen Podcast) beruht, stellen uns Heiko Werning und Ulrike Sterblich in charmant und witzig geschriebenen Porträts einige dieser Wesen vor.
So werden nicht nur charismatische Flagschiff-Arten wie Eisbär, Schneeleopard, Panzernashorn und Pangolin porträtiert, sondern das Augenmerk wird ebenso auf eher unscheinbare Tiere wie den Anegada-Wirtelschwanzleguan oder die Mallorca-Geburtshelferkröte gelegt. Lernen sie diese und andere faszinierende Arten kennen und erfahren Sie obendrein noch viel Wissenswertes über äußerst raffinierte Fortpflanzungs- und Überlebensstrategien der vorgestellten Tiere.
Vielfältigste Strategien werden verfolgt, um eine Arterhaltung möglich zu machen. Dabei wird nichts unversucht gelassen: vom Klonen bereits verstorbener Individuen über die Weiterzucht in Zoos bin hin zur Inobhutnahme der letzten noch in der Wildnis verbliebenen Exemplare ist alles dabei. Schön ist, dass es manchmal eine Rettung in letzter Minute für die Arten gibt – oft unter skurrilen Umständen. Für viele wie den Beutelwolf kommt dennoch jede Hilfe zu spät.
Obendrein gleicht das Finden dieser vom Aussterben bedrohten Tiere in ihrem ursprünglichen Lebensraum der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Spannend und zugleich betrüblich ist, wie vielschichtig die Bedrohungen und Faktoren, die zum Aussterben und Stagnation der Arten führen, sind. Und doch gibt es bei allen eine große Gemeinsamkeit: alle Bedrohungen und Ursachen, die beschrieben werden, sind menschengemacht bzw. sind auf diesen zurückzuführen. Dies gibt zu denken und lässt das Buch, bei all seiner Kurzweiligkeit und dem Lesevergnügen, welches es nicht nur Tierliebhabern und Nerds für (mehr oder minder) exotische Kreaturen bietet, lange im Gedächtnis bleiben. Denn die Welt ist voller Wunder, doch sind viele von ihnen bereits wieder vom Planeten verschwunden, bevor wir sie überhaupt kennen lernen können, zu schätzen wissen und erfahren, welche Schlüsselrolle sie im ökologischen Gesamtsystem einnehmen.
Ein Tipp von Ann-Kristin Kemna
Lingyuan Luo: Sehnsucht nach Shanghai
Die amerikanische Journalistin Emily Hahn (1905-1997) kommt 1935 mit ihrer Schwester nach Shanghai und erobert das Paris des Ostens im Sturm. Hier leben viele Europäer, die sich zu mondänen Dinnerpartys treffen und die schöne, kluge und unkonventionelle Emily lernt den attraktiven Dichter und Verleger Zau Sinmay kennen. Es ist Liebe auf den ersten Blick und die beiden genießen das süße Leben der Reichen, Schönen und Mächtigen einschließlich des Opiumrauchens.
Emily Hahn hat mit ihren China-Reportagen, die sie für den New Yorker schreibt, riesigen Erfolg und ihrem Glück scheint nichts im Wege zu stehen. Doch die politische Lage ändert sich zunehmend: mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wird China von Japan besetzt. Emily Hahn muss nach Hongkong ausweichen und gerät dort in die Fänge des britischen Geheimdienstchefs. 1943 kehrt sie nach aufregenden Jahren in die USA zurück.
Der gebürtigen Chinesin Lingyuan Luo, die schon seit 30 Jahren in Deutschland lebt, ist ein außergewöhnlicher biographischer Roman gelungen, der uns am abenteuerlichen Leben der Journalistin teilhaben lässt. Sehr einfühlsam beschreibt sie die zarte Liaison zwischen dem empfindsamen Dichter Zau Sinmay und der unerschrockenen Emily Hahn. Auch die anschließenden Kriegsjahre mit der abflauenden Liebe der beiden Protagonisten werden eindrücklich geschildert. Luo lässt uns auch an den vielfältigen Recherchen für Hahns Reportagen und Bücher teilhaben, von denen es bis zu ihrem Tod eine beachtliche Anzahl gibt.
Ein bewegender und spannender, biographischer Roman über eine unerschrockene, emanzipierte Frau in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts vor einer exotischen Kulisse. Sehr lesenswert.
Ein Tipp von Ute Lambrecht
Rainer Zerbst: Antoni Gaudí i Cornet - das vollständige Werk 1852-1926
Wer kennt sie nicht, die weltberühmte Kathedrale Sagrada Família in Barcelona?
Geschaffen wurde sie vom spanischen Künstler Antoni Gaudí. Er lebte von 1852 bis 1926 und war ein herausragender Vertreter der katalanischen Bewegung des Modernisme.
Das Leben von Antoni Gaudí steckte voller Schwierigkeiten und Widersprüche. Als junger Mann schließt er sich der katalanischen nationalistischen Bewegung an und steht der Kirche kritisch gegenüber, während er gegen Ende seines Lebens wie ein Asket lebt und sich ganz dem Bau einer einzigen, aufsehenerregenden Kirche widmet: dem Temple Expiatori de la Sagrada Família.
In seiner Jugend ein dünkelhafter Dandy, der sich gerne den schönen Seiten des Lebens hingibt, wirkt er 1926, als er bei einem Straßenbahnunfall in Barcelona ums Leben kommt, so verwahrlost, dass Passanten ihn für einen Bettler halten.
Gaudís unvergleichliche Architektur spiegelt diese Ambivalenz wider. In seinem Werk verschmelzen die unterschiedlichsten Einflüsse, von natürlichen Formen und neuen Materialien bis zu Orientalismus und Katholizismus, zu einer einzigartigen Modernista-Ästhetik.
Sein Opus Magnum, die ewig unvollendete Sagrada Família, ist das meistbesuchte Bauwerk Spaniens und zählt mit sechs weiteren seiner Bauten zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Mit brandneuen Fotos, historischen Aufnahmen, von Gaudí selbst angefertigten Zeichnungen und Plänen sowie einem detaillierten Anhang zu sämtlichen Werken, von Gebäuden über Möbel und Dekor bis hin zu unvollendeten Projekten - dieser prächtige Bildband präsentiert das gesamte, in seiner Formensprache einzigartige Oeuvre des katalanischen Universalgenies.
Ein Tipp von Knut Hoffmann
Richard Smith: Koralle & Co.
Tauchen Sie mit diesem Buch im wahrsten Sinne des Wortes in die farbenprächtige Welt der Korallenriffe ein!
Kaum hat man Koralle & Co. aufgeschlagen, wird man von der unverhohlenen Begeisterung angesteckt, die den Autor Dr. Richard Smith, Koryphäe auf dem Gebiet der Meeresbiologie und renommierter Unterwasserfotograf, umtreibt. Er eröffnet den Blick für das komplexe Zusammenspiel und die Wechselwirkungen innerhalb der Riffgemeinschaft und liefert mit der gelungenen Kombination von Texten mit sehr persönlicher Note, die viele erstaunliche Fakten vermitteln, sowie spektakulären Fotos, die ein Feuerwerk von Farben offenbaren, einen rundum spannenden Schmöker für alle Unterwasserwelt -Faszinierten.
Smith offenbart uns darin eine fremde, erstaunliche Welt voller großer und kleiner Wunder, die von seltsamen Wesen wie reiskorngroßen Zwergseepferdchen, bis zur Unsichtbarkeit getarnten Nacktkiemerschnecken und Geisterpfeifenfischen bevölkert ist, die den meisten Menschen jedoch verborgen bleibt.
Doch gerade diese einmaligen „Regenwälder der Meere“, wie der Autor die Korallenriffe nennt, sind aufgrund ihrer hohen Sensibilität gegenüber Umwelteinflüssen stark bedroht. Dabei warten noch unzählige Arten auf ihre Entdeckung. Der kurzweilige Ausflug in diesen besonderen Lebensraum führt die Komplexität des Ökosystems Korallenriff und seine globale Bedeutung als Quell der Biodiversität vor Augen und versetzt den Betrachter in Staunen angesichts der Raffinesse der vielfältigen Organismen, wenn es um Überlebensstrategien wie spezielle Formen der Vergesellschaftung, den Umgang mit Parasiten oder die Kommunikation mittels Farben geht.
Ein Text-Bild-Band von großer Schönheit, der uns die Verletzlichkeit dessen zeigt, was wir zu verlieren drohen: die einmalige Vielfalt eines der größten Naturwunder unserer Zeit - die tropischen Korallenriffe unserer Ozeane.
Ein Tipp von Ann-Kristin Kemna
Miika Nousiainen: Quality Time
Quality Time, diese besondere Wohlfühlzeit mit Familie, Partner oder Freunden – wer sucht sie nicht? Da ist zum Beispiel der fast 40jährige sympathische Sami, der verzweifelt auf der Suche nach einer Partnerin ist, mit der er eine Familie gründen kann. Seine Schwester Hanna will auf keinen Fall Kinder und steckt darüber hinaus in einer unglücklichen Ehe. Samis beste Freunde Markus und Nojonen müssen ihr eigenes Leben meistern. Markus ist alleinerziehender Vater von drei Töchtern, seine Frau hat die Familie wegen schwerer Depressionen verlassen. Nojonen pflegt erst seinen krebskranken Vater und darauf seine demenzkranke Mutter. Und dann ist da noch Asta, Samis und Hannas Mutter, frischgebackene Witwe, die sich neu verliebt. Und alle landen immer wieder bei Veras Blog „Quality Time“, die über ihr vermeintlich perfektes und glückliches Leben schreibt. Als Sami zu seiner Freundin will, sieht er, wie sie mit einem fremden Mann auf dem Motorrad wegfährt. Aus Wut tritt er gegen ein stehendes Motorrad, beobachtet von dem Besitzer, Mitglied einer Motorradgang. Beim Wegrennen verliert Sami seine Brieftasche, doch nun weiß die Gang, wer er ist und wo er wohnt. Er flüchtet zu seinem Freund Markus, doch irgendwann kann Sami sich nicht mehr verstecken…
Miika Nousiainen gelingt es, eine herrlich ironische, originelle und sehr, sehr komische Geschichte zu erzählen. Aus verschiedenen Perspektiven erfährt der Leser von dem Suchen nach Glück im Leben und dass es sich nicht lohnt, an Trugbildern festzuhalten. Allerhöchste Leseempfehlung!
„Und in Wirklichkeit ist auch das Leben schöner, als man an manchen Tagen denkt. Daran erinnert uns Miika Nousiainen federleicht und temperamentvoll.“ (Annemarie Stoltenberg, NDR)
Ein Tipp von Sabine Koch