Jørn Lier Horst: Wisting und die Tote am Wegesrand
Ein Tipp von Sabine Koch
Der norwegische Kommissar William Wisting bekommt per E-Mail eine Suchanfrage von der Australierin Michelle. Sie vermisst eine norwegische Bekannte, mit der sie sonst täglich über das Internet kommunizierte, von der sie aber seit zehn Tagen nichts mehr gehört hat. Die norwegische Bekannte, von der Michelle nur den Usernamen „Astria“ weiß, beteiligte sich auf einer von Michelle eingerichteten sogenannten Crowdsolving-Plattform als Hobby-Ermittlerin an der Suche nach dem Mörder der australischen Rucksacktouristin Ruby - einer Freundin von Michelle. Ruby wurde vor etwas mehr als einem halben Jahr auf ihrer Europareise in dem kleinen Küstenort Palamos im Nordosten Spaniens von einem Unbekannten ermordet.
Erst nimmt Kommissar Wisting das alles nicht so ernst. Seine Tochter meldet ihn auf der Crowdsolving-Plattform an. Als dann aber ein spanischer Lieferwagen aus Palamos verlassen im verschneiten Larvik mit einer Leiche im Kofferraum gefunden wird, beginnt William Wisting zu ermitteln…
An Autor Jørn Lier Horst gibt es weiterhin kein Vorbeikommen, wenn man über erstklassige skandinavische Kriminalromane spricht. Er selbst war viele Jahre als Hauptkommissar im Einsatz.
Ungewöhnlich an diesem Krimi ist die Tätersuche durch die Crowdsolving-Plattform. Hobbyermittler weltweit diskutieren den Fall der getöteten Touristin Ruby und tragen Hinweise zur Tat zusammen.
Von der Reihe um Kommissar Wisting gibt es schon mehrere Bücher, einige wurden verfilmt.
Standort: In der Zentralbibliothek (Untergeschoss, Spannung, Signatur Hor 5) und in den Stadtteil- und Schulbibliotheken Niederzwehren, Waldau, Oberzwehren.
Tipps der letzten Monate
Julia Haart: Un-verhüllt
Mit über 40 ein ganz neues Leben beginnen, die ersten Schritte in die Welt machen, sich einen neuen Namen geben, eine Luxus-Schuhmarke begründen und dass, obwohl man zuvor ein fest eingebundenes Mitglied einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde war? Was wie ein Märchen oder eine ungewöhnliche Form des American Dream klingt, ist Modedesignerin Julia Haart gelungen. Sie schaffte es trotz größter Repressionen seitens ihrer Glaubensgemeinschaft, das Leben zu führen, nachdem sie sich Geheimen zutiefst gesehnt hatte. Anfangs heimlich, versteht sich natürlich.
Bereits als Jugendliche liebte sie Mode und Design, doch die strikten Regularien, die mit dem Leben als ultraorthodoxe Jüdin einhergehen, boten ihr nicht viel Spielraum für kreative Gestaltung von Kleidung und Accessoires. Ohne den Schejtl, die traditionelle Perücke verheirateter Frauen, unter Menschen gehen? Röcke, die oberhalb des Knies enden? Oberteile, die nicht Schlüsselbeine und Ellbogen bedeckt halten? Undenkbar!
Zur Verwirklichung ihres Traums lebte sie viele Jahre lang ein strapaziöses Doppelleben, in dem sie neben der Rolle der tugendhaften Hausfrau und vierfachen Mutter, gefangen in einer arrangierten Ehe mit einem Mann, für den sie keine Gefühle mehr hegte, 20 Stunden pro Tag arbeitete, um ihre Marke zu etablieren. Doch anstatt sich zu beklagen, verfolgte sie zielstrebig ihren Traum, von dessen Erfüllung ihre Zukunft und die ihrer Kinder abhängt: ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung, gegen soziale Kontrolle und selbstauferlegte Zwänge.
Dieses Buch ist keine Anklageschrift, sondern ein Zeugnis von Selbstbehauptung und eisernem Willen. Zudem ist Julia Haart eine wirklich brillante Erzählerin, die im Rückblick über ihr altes Ich lachen kann und nebenbei viele urkomische Anekdoten einzubinden weiß, sodass die Story vor unnachahmlicher Situationskomik sprüht. Ein Buch für alle, die an außergewöhnlichen Lebensgeschichten interessiert sind und natürlich ebenso lesenswert für Fans der Serie „My Unorthodox Life“.
Ein Tipp von Ann-Kristin Kemna.
Standort: In der Zentralbibliothek als Buch (Untergeschoss, Biografien, Signatur: B 30 Haa)
Medien werden auf Wunsch an den Standort Ihrer Wahl transportiert.
Thor Hanson: Von schrumpfenden Tintenfischen und windfesten Eidechsen
Was macht die weltweite Klimaerwärmung mit den Tieren und Pflanzen auf der Erde?
Der Umweltbiologe Thor Hanson beschreibt in seinem Buch anschaulich, wie die Arten in verschiedenen Regionen der Welt auf die veränderten Verhältnisse infolge des Klimawandels reagieren.
Einen Schwerpunkt bilden dabei die Neuenglandstaaten mit Vermont, der Heimat des Autors. So ziehen die Mauerschwalben vermehrt gen Norden an die im Sommer kühlere Westküste. Die heimischen Braunbären lassen am Studienort in Kanada nach und nach die Lachse in den Flüssen links liegen, denn für sie sind die frühreifen Holunderbeeren als Nahrung nun reizvoller.
Meerestiere wie Seesterne können aufgrund der Erwärmung in den Meeren aussterben und deren Hauptnahrung wie Miesmuscheln können sich dafür rasant vermehren. Auf diese Weise können ganze Ökosysteme zum Erliegen kommen.
Naturwissenschaftlich Interessierte erfahren nebenher so einiges über die Rolle des Kohlendioxids beim Klimawandel, über die aufwändige Forschungsarbeit der Klimaforscher und wie weit sich aufgrund heutiger Ergebnisse Prognosen für die Tier- und Pflanzenwelt an bestimmten Orten treffen lassen.
Hansons Buch ist ein flüssig geschriebenes Werk für Naturfreunde und insbesondere für an der Klimaforschung Interessierte. Es ist eine gelungene Mischung aus persönlichen Naturbeobachtungen und Forschungen des Naturschutzbiologen und wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Es wurde von der New York Times für das beste Wissenschaftsbuch 2023 nominiert.
Ein Tipp von Hendrik Bühnemann
Standort: In der Zentralbibliothek (Untergeschoss, Naturwissenschaften, Signatur: T 57 Han)
Medien werden auf Wunsch an den Standort Ihrer Wahl transportiert.
Armin Schmitt: Großartige Giganten. Den letzten Geheimnissen der Dinosaurier auf der Spur
Die Welt der Saurier scheint den meisten von uns unermesslich weit in der Vergangenheit zu liegen, ist den Menschen nur aus Exponaten in Museen oder von mehr oder weniger akkuraten Darstellungen der Popkultur bekannt. Umso erstaunlicher mutet es an, wenn man sich die zeitlichen Dimensionen verdeutlicht, die die Herrschaft der Dinosaurier umfasst: erdgeschichtlich betrachtet sind wir Menschen dem Tyrannosaurus näher als der „König der Tyrannenechsen“ dem Oberjura, in dem Stegosaurus lebte!
Es wird also Zeit, sich auf eine spannende Entdeckungsreise in ebenjenes „Land vor unserer Zeit“ zu begeben. Auch Mitten in Deutschland war es wild: unzählige Urtiere haben ihre Spuren hinterlassen. Neben dem weltberühmten Superstar-Fossil Archaeopteryx aus Solnhofen stellt Autor Armin Schmitt auch die mannigfaltigen Saurierfährten im niedersächsischen Münchehagen vor, die jedes Jahr aufs Neue viele Menschen begeistern. Denn Armin Schmitt ist eine Koryphäe der Paläontologie und weltweit für sein Fachgebiet im Einsatz unterwegs. Sei es auf den abgelegensten Schotterpisten Argentiniens auf der Suche nach fossilen Überresten oder in der Wüstenwelt Nevadas, wo man ironischerweise ausgerechnet den wasserbewohnenden Ichthyosauriern auf die Spur kommen kann. Unverblümt berichtet er aus der internationalen Forschungspraxis anhand von vielen anschaulichen Beispielen.
Lernen Sie Borealopelta, die erstaunlichste Dinosauriermumie der Welt, kennen. Gerade wegen seiner verschlafen wirkenden Optik ist das perfekt erhaltene Fossil auch als Dornröschen unter den Dinos bekannt. Finden Sie zudem heraus, wie man Steißhühner dazu bringt, Bewegungsmuster zu erlernen, die ihren prähistorischen Vorfahren dabei geholfen haben, die ersten Flugversuche zu unternehmen. Erfahren Sie zudem neue Erkenntnisse darüber, warum Spinosaurus eben kein überdimensionierter Molch war und was sein Rückensegel über die Wasserergonomie dieses so seltsamen wie schaurig schönen Wesens verrät. Und natürlich wird auch der wichtigsten Frage überhaupt auf den Grund gegangen: wer hätte sich im titanischen Kampf Spinosaurus vs. Tyrannosaurus als Sieger behaupten können?
GROSSARTIGE GIGANTEN ist zwar der Titel des Sachbuchs, doch Armin Schmitt lehrt uns, dass gerade auch die kleinen und winzigen Funde, sei es ein Knochenfragment oder ein Einschluss im Bernstein, zu bahnbrechenden neuen Erkenntnissen führen können. Und nicht zu vergessen: die Dinosaurier waren nicht alle sämtlich groß und gewaltig. Sondern auch winzig klein wie Microraptor, ein gefiedertes Leichtgewicht, das Schätzungen zufolge weniger als 1 kg gewogen haben soll. Daher wird die vielleicht wichtigste Erkenntnis aus diesem Buch vermutlich sein, dass die Dinosaurier gar nicht so ausgestorben sind, wie es immer den Anschein hat, sondern noch direkt unter uns weilen – mal größer, mal kleiner, mal flauschig, mal wehrhaft, aber stets mit einer gehörigen Portion Intelligenz ausgestattet -in Gestalt der Vogelwelt, wie wir sie kennen. Nehmen Sie sich also ruhig etwas Zeit, wenn Sie demnächst die Chance haben, die Dinosaurier der Moderne in freier Wildbahn zu erleben: es können die Spatzen im eigenen Garten, die Tauben am Bahnhof oder die Elstern im Stadtpark sein.
Ein Tipp von Ann-Kristin Kemna
Standort: In der Zentralbibliothek als Buch (Untergeschoss, Naturwissenschaften, Signatur T 53.1 Schmi) und in der Onleihe als eBook.
Medien werden auf Wunsch an den Standort Ihrer Wahl transportiert.
Tim Frühling: 111 Orte in der Rhön, die man gesehen haben muss
Ein Gebirge, drei Bundesländer!
Entdecken Sie die Schönheit des Landes der offenen Fernen mit seinem Wechsel aus dichten Wäldern und lichten Weiden. Früher bettelarmes Bauernland, zieht das Biosphärenreservat heute Naturliebhaber aus ganz Deutschland an. Der Bischofssitz Fulda, die Festspielstadt Bad Hersfeld, das Staatsbad Kissingen und die Theaterstadt Meiningen rahmen das grüne Herz Deutschlands ein. Beiderseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs gibt es viel zu entdecken!
Der bekannte hr-Moderator nimmt Sie mit auf eine Reise in die Rhön: Neben bekannten Klassikern wie Fulda und der Wasserkuppe werden u.a. der Forstbotanische Garten Wasungen, die uralte Dorflinde in Schenklengsfeld und das Hotel Fronfeste in Meinigen, ein ehemaliges Gefängnis, vorgestellt. Reihenüblich enthalten alle Ortsbeschreibungen die genaue Adresse, Tipps zur Anfahrt und, soweit vorhanden, Internet-Adressen.
111 Entdeckungen fast vor Kassels Haustür. Viele der Ziele lassen sich mit dem 49-Euro-Ticket und dem ÖPNV entdecken.
Ein Tipp von Knut Hoffmann
Standort: In der Zentralbibliothek als Buch (Untergeschoss, Hessen, Signatur D 40 Fru).
Medien werden auf Wunsch an den Standort Ihrer Wahl transportiert.
Taylor Jenkins Reid: Die sieben Männer der Evelyn Hugo
Die einstige Hollywood-Filmikone Evelyn Hugo ist endlich bereit die Wahrheit zu erzählen, die jeder schon auf seine Weise zu wissen glaubt.
Sieben Ehen, sieben Männer.
Ein Leben in der Öffentlichkeit, immer im Rampenlicht und doch von Geheimnissen umgeben.
Während des gesamten Buches stellt Evelyn Monique, der unbekannten Reporterin, die sie gebeten hat, ihre Lebensgeschichte zu schreiben, mehr oder weniger ihre Seele bloß. Als berühmte Schauspielerin sind Evelyns Erinnerungen pikant und voller Dramatik, verborgener Schmerzen und geheimer Triumphe und vor allem ihre sieben Ehen – keine davon die verborgene Liebe ihres Lebens. Trotz der Vorurteile, die über sie kursieren und der Schnipsel von Klatschartikeln, die zeitweise im Buch angeordnet sind, schämt sich Evelyn in keiner Weise und schafft diese unglaublich starke, feministische Atmosphäre. Reid verwandelt Fiktion in Sachliteratur; man vergisst, dass man liest und es fühlt sich an, als würde man im Supermarkt in der Schlange stehen und die neuesten schockierenden Promi-Nachrichten auf dem Cover einer Zeitschrift ansehen.
Ein wundervoller Roman im Interview-Format, der von seiner Aufmachung her sehr an allseits bekannte Schauspiel-Ikonen der damaligen Zeit erinnert. Sehr empfehlenswert!
Ein Tipp von Seline Aderhold
Standort: In der Zentralbibliothek als Buch (Untergeschoss, Romane, Signatur Rei 3) und als eBook in der Onleihe.
Medien werden auf Wunsch an den Standort Ihrer Wahl transportiert.
Caroline Ring: Wanderer zwischen den Welten - was Vögel in Städten erzählen
Die Biologin Caroline Ring hat ganz Deutschland bereist, um der Vogelwelt in urbaner Umgebung auf die Spur zu kommen und dabei ganz erstaunliche Erkenntnisse gewonnen, die sie in ihrem Sachbuch "Wanderer zwischen den Welten - was Vögel in Städten erzählen" offenlegt. Hätten Sie vermutet, dass Berlin die Hauptstadt der Nachtigallen ist und sich dort so viele Vogelarten tummeln wie fast nirgends sonst in der Bundesrepublik?
Die Autorin nimmt uns auf vielfältige Expeditionen in deutsche Städte mit, von beschaulich bayrisch wie Bamberg bis monumental-mondän wie München und zeigt deutlich, dass die vielbeschworene Wildnis, nach der es uns verlangt, nur allzu oft in der verborgenen Welt direkt hinter dem eigenen Wohnraum beginnt. Kommt es nicht einer Ironie gleich, dass sich viele über den Mangel an ornithologischen Eindrücken in der angeblichen urbanen Einöde beklagen, aber weder Auge noch Ohr auf die versteckten Schönheiten richten, die sie unmittelbar umgeben? Der Gesang einer Amsel, der Blick eines Rotkehlchens, aus dem die Weisheit der Welt spricht oder der flüchtige Anblick einer Gruppe Spatzen, die davonstiebt – gerade im Alltäglichen offenbart sich die überraschende Lebenswelt der Vögel in unserer unmittelbaren Nähe.
So vielfältig und verschieden wie die Städte präsentieren sich auch die gefiederten Protagonisten: vom vorwitzigen Grünspecht, der in Mainz als Nemesis der Fassaden fungiert, bis zu Uhubabys, die unter dem tausendjährigen Rosenstock des Hildesheimer Doms flanieren und mit ihren aberwitzigen Versteckspielen den ganzen altehrwürdigen Ort in Atem halten. Und nicht zuletzt schildert Caroline Ring Begegnungen mit Menschen, deren engagierter Einsatz für die Vogelwelt den Leser gleichermaßen tief beeindruckt und berührt zurücklässt, sei es nun für bekannte „Allerweltsvögel“ wie den pfeilschnellen Mauersegler oder den vom Aussterben bedrohten urigen Waldrapp. Ein zauberhaftes Buch, bei dem sowohl Fakten als auch das Erzählerische nicht zu kurz kommen und geschickt miteinander vereint werden.
Ein Tipp von Ann-Kristin Kemna
Standort: In der Zentralbibliothek als Buch (Untergeschoss, Signatur: T 75 Rin).
Medien werden auf Wunsch an den Standort Ihrer Wahl transportiert.
Antti Tuomainen: Der Kaninchen-Faktor
Henri Koskinen ist Versicherungsmathematiker, er berechnet seit Jahren Statistiken jeglicher Art für Versicherungen. Mit der modernen Personalführung seines neuen Chefs und dessen Team-Building-Maßnahmen kommt er nicht klar. Vor die Wahl gestellt, im Keller ein Minibüro zu haben oder zu gehen, kündigt Henri. Vergeblich sucht er einen neuen Arbeitsplatz, denn Versicherungsmathematiker wie er werden nicht mehr gebraucht. Dann steht auch noch ein Anwalt vor seiner Tür, der ihm mitteilt, dass sein Bruder verstorben ist und ihm seinen Abenteuerpark hinterlässt.
So wird der Versicherungsmathematiker Henri Koskinen Abenteuerparkbetreiber. Und damit fangen für Henri die Probleme so richtig an. Denn schnell wird ihm klar, dass etwas mit den Finanzen des Parks nicht stimmt. Auch das Parkpersonal hat einige Eigenheiten. Es dauert nicht lange, da stehen zwei dubiose Gestalten in seinem Büro und verlangen, dass Henri die Schulden seines Bruders an sie zurückzahlt. Und zur Untermauerung ihrer Forderungen zeigen sie Henri, was mit demjenigen passiert, der seine Schulden nicht zahlt. Zu allem Überfluss interessiert sich auch die Polizei für seinen Abenteuerpark. Dass Henri sich auch noch in Parkmitarbeiterin Laura verliebt, vereinfacht seine Situation nicht.
Antti Tuomainen, einer der angesehensten und erfolgreichsten finnischen Schriftsteller und ausgezeichnet mit dem Clue Award, dem finnischen Krimipreis, schafft es, aus einer einfachen Situation einen skurrilen, aber unterhaltsamen Spannungsroman zu kreieren, der auch immer etwas Komödiantisches enthält. Der Roman war Nr. 1 in Finnland. Für Freunde des schrägen finnischen Humors.
Ein Tipp von Sabine Koch
Karen Duve: Sisi
Kein Pferd ist zu wild, kein Sprung zu gefährlich, kein Wald zu unwegsam für Kaiserin Elisabeth von Österreich, Königin von Ungarn!
Karen Duve präsentiert uns in ihrem Roman eine gereifte, ungestüme Sisi: eine gewiefte Ränkeschmiedin weitab des klassischen Bildes der naiven, verzärtelten Kaiserin, die weder unstandesgemäßen Umgang mit nichtadeligen Personen wie Zirkusreiterin Elisa und Jagdführer Bay Middelton fürchtet noch den Tratsch, der unweigerlich in der durchlaucht-spießigen Hofgesellschaft damit einhergeht. Rasante Parforce-Jagden in England scheut sie ebenso wenig wie die unbarmherzige Hirsch-Hatz in Ungarn auf ihrem heißgeliebten Schloss Gödöllö. Mit der gleichen rücksichtslosen Selbstverständlichkeit verführt sie ihre unbedarfte, im Umgang mit Pferden talentierte Nichte Marie Wallersee zu allerlei Unfug, sodass das junge Mädchen zu einem Spielball der Wünsche der vielbewunderten Tante wird. Denn für die jugendliche Marie geht mit der Einladung Sisis nach Gödöllo ein Traum in Erfüllung: jeder Tag ist von früh bis spät Jagdreiten und Pferdetraining gewidmet, und die Abende sind mit festlichen Empfängen in illustrer Gesellschaft ausgefüllt - dies kommt der begabten, aber unter der niederen Herkunft ihrer Mutter leidenden Marie nur gerade recht. Die aufmerksame Zuwendung und Fürsorge der Kaiserin, die in Marie eine Art verjüngtes Mini-Me zu sehen scheint, hat jedoch seinen Preis…
Ein wunderbarer, an zeitgenössischen Quellen detailliert recherchierter Roman, der selbst allen, denen die herkömmliche Sisi nur ein Gähnen entlockte, dieser eher unbekannten, unbändigen Seite der freiheitsliebenden Kaiserin Respekt abringen wird. Denn Duve offenbart uns eine wahre Hippomanin, die todesmutig weder Schmutz noch Sturz fürchtet.
Nicht nur, aber besonders empfehlenswert für alle Pferdebegeisterten sowie natürlich alle historisch Interessierten, die einen Blick hinter die Kulissen des überfrachteten Sisi-Mythos werfen möchten.
Ein Tipp von Ann-Kristin Kemna
Diane Cook: Die neue Wildnis
Ein gewagtes Sozialexperiment in einem Amerika der Zukunft: ein Leben in den Städten ist gefährlich geworden – dort herrscht neben Enge, Abfallbergen und Perspektivlosigkeit auch eine akute Gesundheitsgefahr für Leib und Leben. Einen Ausweg aus dieser dystopischen, durch Umweltzerstörung an den Rand ihrer Existenz gebrachten Zivilisation gibt es nur für wenige Menschen: Die sogenannte Neue Wildnis, eine schier gigantische Region ungezähmter, staatlich strikt geschützter Natur, bietet einer Gruppe von ausgewählten Pionieren die einmalige Chance, ihr städtisches Leben aufzugeben und als ewig Wandernde durch die Neue Wildnis zu ziehen.
Auch wenn ein Traum in Erfüllung gegangen scheint, bezahlen die Auserwählten für diese vermeintliche Freiheit, in der ein Fehltritt auch den Tod durch Ausschluss aus der Gemeinschaft bedeuten kann, indem sie ihr Leben strikten Regularien unterwerfen. Das Motto, keinerlei Spuren der Zivilisation in der Natur zu hinterlassen, verdammt die Gemeinschaft der Pioniere zu einem Leben wie auf der permanenten Flucht vor sich selbst.
Dennoch wagt Protagonistin Bea den Schritt in die Neue Wildnis im Westen Amerikas, da sie darin die einzige Chance für ihre schwerkranke Tochter Agnes sieht, eine gesunde Zukunft zu erleben. Denn ein steht fest: das Leben in den überfüllten, verseuchten Städten würde früher oder später den Tod der Fünfjährigen bedeuten.
Abseits jeglicher Lagerfeuer-Hippie-Romantik schildert Autorin Diane Cook mit herzzerreißender Härte schonungslos das Leben in der Neuen Wildnis. Ein Wunschtraum für die in urbanen Ballungsgebieten zusammengepferchte Bevölkerung, doch ebenso befreiend wie gefährlich bleibt der Aufenthalt in der Region. Am Ende steht die Frage offen, was die eigentliche Illusion ist: diejenige von der Freiheit in der vermeintlich idyllischen Wildnis oder die bloße Sehnsucht nach der Utopie einer unsicheren Alternative.
Ein Roman, der uns mit dem urtümlichen Gefühl zurücklässt, dass es in der scheinbar unberührten Natur unwägbare Dinge gibt, die stärker sind als jedes Menschenwesen, möge es sich selbst für noch so intelligent und zivilisiert halten. Und der deutlich macht, wie die Natur gegenüber unbedachten, idealistischen Menschen wirklich ist: Unberechenbar. Unbarmherzig. Unbeugsam. Gefährlich.
Ein Tipp von Ann-Kristin Kemna
Samuel Bjørk: Dunkelschnee
Norwegen im Jahr 2001: Auf einem Feld werden zwei ermordete Jungen gefunden, zwischen ihnen liegt ein toter Fuchs. Acht Jahre zuvor gab es einen vergleichbaren Fall in Schweden, der nie aufgeklärt wurde. Ebenfalls wurden zwei Jungen ermordet und auch zwischen diesen beiden Leichen wurde ein totes Tier (Hase) drapiert. Das Team um Kommissar Munch übernimmt den Fall. Zu ihnen stößt Mia, frisch „rekrutiert“ von der Polizeiakademie, aufgefallen wegen ihrer Fähigkeit, mehr auf Bildern zu sehen und daraus schließen zu können, als jeder andere. Aber der Fall stellt sich als komplizierter heraus, als alle vermutet hätten.
Hochspannung auf 560 Seiten. Es gibt auch mitunter sehr interessante Nebencharaktere. Wer Kommissar Munch und Mia schon kennt, kann sich auf diesen 4. Band freuen. Wer sie noch nicht kennt, kann genauso gut mit diesem Band anfangen, da Mia ja hier erst zu dem Team dazu stößt. Man könnte statt Band 4 auch Band Null sagen, die Geschichte spielt sich etwa 10 Jahre vor dem ersten Band ab.
Ein Tipp von Christine Rettig
Elke Heidenreich: Ihr glücklichen Augen
Elke Heidenreich ist in ihrem Leben sehr viel gereist. Gerne ließ sie sich durch fremde Städte und ferne Länder treiben. Nirgendwo jedoch ist sie ausgetretenen Pfaden gefolgt und sie hat sich ihre eigenen Wege gebahnt, hat ihre eigenen Entdeckungen gemacht. Und oft führte sie ihr Weg zu den Opernhäusern einer Stadt. Ihre Beobachtungen, Begegnungen und Erlebnisse hat sie gewissenhaft notiert. In „Ihr glücklichen Augen“ erzählt sie von einigen ihrer Reisen. Und sie erinnert sich an Ihre Gefühle, die sie bei ganz besonderen Reisen hatte. So war sie zum Beispiel von der Natur Neuseelands so überwältigt, dass ihr die Tränen kamen. Und immer wieder nimmt Elke Heidenreich auch Bezug auf die Gegenwart und ihr ist klar, dass sie so manche Reisen heute nicht mehr machen kann, weil die politische Lage es nicht mehr zulässt.
Das Buch ist, wie immer bei Elke Heidenreich, in einer wunderbaren Sprache geschrieben. Sie erzählt sehr offen und sehr persönlich von ihren Erlebnissen in den diversen Orten, dabei immer auch sehr unterhaltsam. Ein wirklich schönes Buch. Empfehlenswert!
Ein Tipp von Sabine Koch
Christian Guay-Poliquin: Das Gewicht von Schnee
Der Roman spielt in der kanadischen Provinz, es ist tiefer Winter, der Schnee fällt unaufhörlich und schon lange hat man durch einen landesweiten Stromausfall keinen Kontakt zur Außenwelt. Öl und Benzin wird rationiert, Medikamente und Lebensmittel sind knapp. Ein junger Mann verunglückt schwer mit dem Auto auf dem Weg in ein Dorf, es ist sein Heimatdorf, das er aber schon lange verlassen hatte. Er wird gerettet und überlebt die Notoperation der Tierärztin. Die Dorfgemeinschaft beschließt, dass der junge, schwer verletzte Mann von dem älteren Fremden namens Matthias, der in einer verlassenen Hütte außerhalb des Dorfes lebt, gepflegt werden soll. Matthias willigt nur ein, weil ihm dafür ein Platz in einem geplanten Transport zurück Richtung Stadt versprochen wird. So sind die beiden ungleichen und wortkargen Männer gezwungen, auf wenigen Quadratmetern zusammenzuleben, weil die Umstände es erfordern. Anfängliches Misstrauen und argwöhnisches Beäugen weicht zunehmend Vertrauen und Hilfsbereitschaft. Aber je mehr Schnee fällt, je schlechter die Versorgungslage wird, desto mehr ändert sich die Stimmung zwischen den Männern hin zu Egoismus, Neid, Feindseligkeit und sogar Hass.
„Das Gewicht von Schnee“ ist ein intensiver, psychologisch tiefgründiger und zugleich spannender Roman, erzählt vom namenlosen Verletzten aus der Ich-Perspektive. Dem kanadischen Autor Christian Guay-Poliquin gelingt es mit wenigen Worten und einer präzisen Sprache klare Bilder zu erschaffen. Er hat für diesen Roman zahlreiche Literatur-Preise erhalten.
Beeindruckend und lesenswert!
Ein Tipp von Sabine Koch