KISS Interview: Selbsthilfegruppe Magenkrebs

Interview im KISS Selbsthilfemagazin 2015

Magenkrebs – das Leben geht weiter
Selbsthilfegruppe unterstützt bei Unsicherheiten und Ängsten

Die Diagnose Magenkrebs bedeutet in den meisten Fällen, dass der Magen bei einer Operation entfernt wird. Wie lebt es sich ohne Magen? Wenn ein Stück Dünndarm an die Speiseröhre genäht wird und zum Magenersatz wird, was kann man dann noch essen? Diese und andere Fragen beschäftigen die Menschen, die in die Selbsthilfegruppe Magenkrebs kommen.

Vor zwei Jahren lag Margitta Augsten nach der Operation im Krankenhaus und hatte schon damals das Bedürfnis, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Denn im Krankenhaus gab es keine weiteren Patienten mit Magenkrebs und auch in der anschließenden Rehabilitations-Behandlung traf sie nur einen weiteren Betroffenen. Über die KISS startete sie eine Initiative und suchte nach Gleichgesinnten. Daraufhin meldeten sich unter anderem Norbert Hampel und Rolf Dieter Dittmar, die erst Ende vergangenen Jahres operiert worden sind. „Die Hilfe für Magenlose ist eher dürftig“, empfand Hampel. Es gebe nur wenige wissenschaftliche Studien zur Erforschung von Therapien, denn mit 15 000 Neuerkrankungen pro Jahr sei die Zahl der Fälle gegenüber den anderen Krebsarten eher gering. Deshalb sei es auch schwieriger, ärztliche Spezialisten zu finden. Meist fühlen sich die Betroffenen ängstlich und unsicher, vor allem im Hinblick auf die Ernährung nach der Operation. Rolf Dieter Dittmar erinnert sich nur an eine kurze Beratung zu diesem Thema im Krankenhaus. Die Information „Sie können alles essen, Sie müssen es halt ausprobieren“, fand er wenig hilfreich. Vielmehr sei eine ganz praktische Begleitung beim Ausprobieren notwendig, sagen die Gruppengründer.

Jeder spricht von seinen Erfahrungen
An diesem Punkt empfanden die Gruppengründer die Erfahrungen der anderen Betroffenen als wichtige Unterstützung. Die Gruppe traf sich erstmals im Januar 2015 und bei den vier bisherigen Treffen gehörte die Ernährung stets zu einem der wichtigsten Themen. Was ist gut bekommen, welche Restaurants bieten gutes Essen und verwenden frische Fette? Dabei werden keine Ratschläge gegeben, vielmehr spricht jeder von seinen Erfahrungen. Die Regeln von Selbsthilfegruppen brachte ihnen KISS-Leiterin Carola Jantzen näher, „die sich die Zeit genommen hat und bei dem ersten Treffen dabei war“, erläutert Gründungsmitglied Norbert Hampel. Er war überrascht, dass gleich beim ersten Treffen sieben Betroffene kamen, teils mit Partnern. Denn auch die Angehörigen sind von der Diagnose Krebs betroffen und sind daher in der Gruppe willkommen. Ernährung ist bei Magenkrebs ein wichtiges Thema Nach der Operation bemüht sich der Partner vielleicht, lecker zu kochen, der Betroffene jedoch isst nichts. „Ich habe am Anfang zu Hause nur Pellkartoffeln und mal eine Tomatensuppe gegessen“, erzählt Margitta Augsten, weil sie sich nicht traute, andere Speisen zu probieren.

Im Gegensatz dazu hatte Norbert Hampel von Beginn an wenige Probleme mit dem Essen, er muss zwar kleinere Portionen als früher essen, doch dafür achtet er heute auf bessere Qualität. Andere in der Gruppe hingegen haben nach wie vor Schmerzen und müssen nach und nach die Ernährung erst wieder aufbauen. Auch Rolf Dieter Dittmar war anfangs vorsichtig, doch „mittlerweile geht beim Essen Vieles.“ Während er beispielsweise Kabeljau verträgt, hat das bei Norbert Hampel unerwünschte Auswirkungen. Margitta Augstens Befürchtung war „keine Bratwurst mehr essen zu können“. Doch mittlerweile schafft sie sogar wieder eine komplette Bratwurst.

Austausch von Informationen
Diese Beispiele zeigen, dass man tatsächlich ausprobieren muss, was geht und was nicht. Allein ist das schwer, die Ermutigung dazu bekommen Betroffene in der Gruppe. Zudem gibt es in der Gruppe wertvolle Informationen. Rolf Dieter Dittmar hat dort beispielsweise von Kapseln erfahren, die ein Verdauungsenzym ersetzen, das für die Verdauung wichtig ist. Die Bauspeicheldrüse kann, bedingt durch die Operation, ihre Enzyme nicht rechtzeitig zur Nahrung hinzufügen. Ohne das Enzym wird die Nahrung aber nicht richtig verdaut.

Der Austausch von Informationen in der Gruppe ist ganz praktisch – ob nun zur Ernährung oder über Ärzte. „Es gibt ein Geben und Nehmen“, sagt Hampel „das ist schön.“ Margitta Augsten hat die Erfahrung gemacht, dass es anderthalb Jahre dauert, „bis man sich wieder wie «Ich» fühlt.“ Auch bei solchen seelischen Prozessen kann die Gruppe hilfreich zur Seite stehen.

Körperlich und psychisch belastend
Die Diagnose Magenkrebs ist nicht nur körperlich, sondern ebenso psychisch und seelisch belastend. Nachdem sie vom Magenkrebs erfuhr, habe sie die ersten acht Tage ständig an Tod gedacht, sagt die Gruppengründerin. Auch nach der Operation gibt es seelisch schwierige Zeiten. Jede Regeluntersuchung nach der Operation ist für die Betroffenen angstbesetzt: „Kehrt der Krebs zurück?“ ist die bange Frage. Ermutigend für alle ist das Beispiel eines Gruppenteilnehmenden, bei dem die Operation 15 Jahre zurückliegt. Aber alle sind sich bewusst, dass es auch anders kommen kann und sie in der Gruppe damit umgehen müssen.

Wichtig für die Betroffenen sind Ärzte und Fachleute, denen sie vertrauen. Die die richtigen Worte finden, um „auch die Seele zu massieren“, sagt Norbert Hampel. Mit denen man beispielsweise Fragen über Sinn und Notwendigkeit einer Chemotherapie vor oder nach der Operation offen klären kann. Auch in die Gruppe sollen Ärzte eingeladen werden, um solche Themen und Fragen zu besprechen. Den Kontakt zu Kliniken haben die Gründungsmitglieder bereits aufgenommen und zwei Chefärzte haben angeboten, bei Bedarf zu den Gruppentreffen zu kommen. Die Gruppengründer wünschen sich vor allem eine individuelle auch psychische Begleitung von Menschen, bei denen Magenkrebs diagnostiziert wurde. Norbert Hampel hofft, dass Betroffene und Angehörige den Weg in die Gruppe finden, auch vor einer Operation. Wer bei der KISS anruft, bekommt die Telefonnummer der Gründungsmitglieder und kann erst einmal telefonisch Kontakt aufnehmen. Denn wichtig ist die Erkenntnis, die sich die Gruppe zum Motto gewählt hat: Magenkrebs – das Leben geht weiter.

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