Allgemeines
Das Stadtarchiv Kassel sammelt und bewahrt die historische Überlieferung der Stadt Kassel und bildet damit deren historisches Gedächtnis. Räumlich ist es zuständig für die Geschichte der Stadt Kassel mit den eingemeindeten Orten Bettenhausen, Harleshausen, Kirchditmold, Niederzwehren, Nordshausen, Oberzwehren, Rothenditmold, Wahlershausen, Waldau, Wilhelmshöhe, Wehlheiden und Wolfsanger.
Das Kasseler Archiv hat im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Verluste erlitten. Nachdem bereits vermutlich größere Teile der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Überlieferung verloren waren, traf das Stadtarchiv 1943 ein Totalverlust im Bereich der städtischen Überlieferung. Als Folge des Luftangriffs im Oktober 1943 brannte das Archiv im Rathaus völlig aus. Die Reste wurden nach Hof Kapelle bei Marburg bzw. nach Karlshafen in Sicherheit gebracht. Seitdem ist das Stadtarchiv bemüht seine neu aufgebauten Bestände zu schützen und zu erweitern. So ist es unter anderem Mitglied im Notfallverbund Archive Nordhessen.
Durch den Verlust der älteren Bestände 1943 reichen die Bestände des Stadtarchivs nur in wenigen Fällen in die Zeit vor 1943 zurück. Die personengeschichtlichen und sachthematischen Sammelmappen (S1 und S 5) wurden durch später angekaufte Ausschnittsammlungen von Privatpersonen angereichert, so dass darin auch Zeitungsausschnitte aus den 1920er und 1930er Jahren zu finden sind. Außerdem haben auch die Einwohnermeldekarteien eine besondere Bedeutung, da sie bis 1866 zurückreichen und so für zahlreiche Nutzungen eine wichtige Quelle bieten.
Seit Ender der 1950er Jahre befindet sich das Stadtarchiv im ehemaligen Marstalle (heute: Markthalle).
Personal
Im Stadtarchiv arbeiten momentan 9 Mitarbeiter/-innen, dazu kommen Praktikanten und gegebenenfalls Werkvertragsmitarbeiter/ -innen.
Archivische Kernaufgaben: Bewerten, Übernehmen und Verzeichnen
Zu den Kernaufgaben eines Stadtarchivs gehört die Bewertung und Übernahme von städtischen und privaten Archivgut, um das Verwaltungshandeln und die Geschichte der Stadt dokumentieren zu können.
Die Bestände des Stadtarchivs werden laufend ergänzt. Basierend auf dem Hessischen Archivgesetz in Verbindung zur Archivsatzung der Stadt Kassel wird dabei die verpflichtende Anbietung städtischen Registraturguts geregelt. D.h. die städtischen Behörden sind dazu verpflichtet, Unterlagen, deren Aufbewahrungsfristen abgelaufen sind, zur Archivierung anzubieten.
In 2023 fanden dabei folgende Übernahmen und Bewertungen statt:
Im Bereich der Behördenbestände wurden Unterlagen aus dem Gesundheitsamt, dem Sozialamt, dem Kulturamt, dem Bereich Lebensmittelüberwachung und Tiergesundheit, dem Amt für Vermessung und Geoinformation und dem Straßenverkehrs- und Tiefbauamt übernommen. Insgesamt belief sich die Übernahme auf 21 Bestände, wobei die Monate März und August mit je 5 Übernahmen herausragen. Die größte Übernahme stammt dabei aus dem Bereich des Sozialamtes (u.a. aus den Abteilungen Sozialpsychiatrischer Dienst, Referat für Altenhilfe und Zentrale Fachstelle Wohnen) mit über 400 Akten. Vom Amt Vermessung und Geoinformation wurde u.a. Arbeiten des früheren Stadtbaurates Heinicke übernommen. Aus der Verwaltung des Kulturamts ergänzen ca. 50 Akten die Überlieferung.
In 2023 wurden im Umwelt- und Gartenamt, Hauptamt (Pressestelle), Personal- und Organisationsamt, Kämmerei- und Steuern, Lebensmittelüberwachung und Tiergesundheit, Feuerwehr, Schulverwaltungsamt (Medienzentrum), Jugendamt, dem Bürgermeisterbüro, dem Sozialamt und im Kulturamt Bewertungstermine (inkl. Vorgespräche) durchgeführt. Im Februar und März (4 bzw. 3) fanden dabei die meisten Termine statt.
Ergänzt wird die städtische Überlieferung durch Übernahmen von Unterlagen aus privater Hand (Vereine, Verbände, Privatpersonen u.a.).
In 2023 wurden insgesamt 40 Einzelbestände aus privater Hand übernommen, wobei die Bandbreite groß ist. Zu den Übernahmen zählen z.B.:
Feldpostkarte des Res.-Lazarett Kassel, WK I (1916); ein Fotoalbum UNRAA (Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen) Kassel 1945-1947 mit Bildern aus dem DP-Camp Hasenhecke; 18 Abzüge und 4 Dia aus Kassel ca. 1938-1944, Familie Lohne Fleischerei Oberste Gasse; Fotografien und Zeichnungen ital. Gefangener aus dem Kriegsgefangenenlager Niederzwehren; diverse Unterlagen zur Entwicklung des Kleinsiedlervereins Wartebergsiedlung, Fotografien des Vereins CSK 98 (Casseler Schwimmverein Kurhessen) oder zwei Audiokassetten mit einem Zeitzeugeninterview. Der August mit 6 und der Dezember mit 9 Übernahmen waren dabei die herausragenden Monate.
Als Beispiele für die Übernahmen aus privater Hand sind zu nennen:
B 42: Dem Stadtarchiv wurden von dem Vorsitzenden des ehemaligen Trägervereins des Internationalen Tanzfestivals „Movimento Tanz- und Bewegungsart e.V. Kassel“ Herrn Achim Rache eine umfangreiche Materialsammlung zu dem o.g. Tanzfestival angeboten. Der Bestand beinhaltet sowohl schriftliche Dokumente zur Organisation, als auch Plakate, Programmhefte, Fotos, DVDs zu den verschiedenen Festivals und deren Vorläufern zwischen 1990 bis 2010 sowie zu weiteren Veranstaltungen wie Workshops, Tanzprojekte und Fotoausstellungen in deren Rahmen. Dabei bietet der Bestand eine essentielle Ergänzung der Überlieferung des Stadtarchivs im Bereich der freien (Kultur-)Szene. Kompakt und gut nachvollziehbar kann so nun die Geschichte des Internationalen Tanzfestival Kassels unter der Bestandssignatur B 42 in der Archivdatenbank Arcinsys eingesehen und vor Ort erforscht werden.
B 43: Die Vorsitzenden des nun fusionierten Vereins „Gesellschaft für deutsch-französische Zusammenarbeit e.V. – DFG Cercle francais Kassel“ Frau Florin und Frau Devignon-Tripp übergaben dem Stadtarchiv im August 2023 Unterlagen des Vereins zur Archivierung. Die Gesellschaft wurde 1949 von der Französin Andrée Rozel-Häger gegründet und war damit eine der ersten Vereine zur Förderung der deutsch-französischen Annäherung in Deutschland. 2018 erfolgte die Fusionierung des Vereins mit dem Frankreich Forum Hessen e.V. Inhaltliche Schwerpunkte bilden die Städtepartnerschaft mit Mulhouse, die gebundenen Ausgaben der Vereinszeitschrift Le Lien sowie der Arbeitskreis Deutsch-Französische Gesellschaften in Deutschland, an deren Gründung Frau Rozer-Häger ebenfalls mitgewirkt hat. Der Bestand ist momentan noch in der Bearbeitung.
C 118: Nachlass Rumpf. Letztere Übernahme soll inhaltlich näher erläutert werden:
Der Bestand wurde von der Tochter der Nachlassgeberin dem Stadtarchiv übergeben. Inhaltlich umfasst der Bestand vorrangig Briefe und Postkarten von Ursula Rumpf und ihrem damals noch Verlobten Hermann Rumpf. Ein weiterer Schwerpunkt ist das Kriegstagebuch von Ursula Rumpf im Original sowie in einer transkribierten und kommentierten Fassung. Darüber hinaus sind auch weitere private Unterlagen wie Fotoalben und Ausweise enthalten. Zeitlich umfasst der Bestand die Jahre 1941-1947. Die Besonderheit des Bestandes ergibt sich daraus, dass der Briefwechsel zwischen Ursula und Hermann in der Zeit seines Militäreinsatzes, u.a. auch an der Front in Osteuropa, entstand und damit einen sehr eindrücklichen Einblick in den Kriegsalltag sowohl an der Front als auch in Kassel, wo Ursula Glebe lebte und arbeitete, bietet.
Diese Übernahmen müssen, ebenso wie der größte Teil der städtischen Übernahmen, noch in ARCINSYS erschlossen werden.
Archivische Kernaufgabe: Erschließung
Unterlagen (Akten, Karten, Pläne, Fotos, Plakate, aber auch digitale Dokumente), die nach einer Bewertungsentscheidung übernommen werden, werden einem weiteren Arbeitsschritt unterzogen: Bei der Erschließung (auch Verzeichnung genannt) werden die übernommenen Unterlagen in der Archivdatenbank Arcinsys (https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/start) verzeichnet. Damit sind die Bestände des Stadtarchivs für historisch Interessierte und Wissenschaft und Forschung recherchier- und zur Einsichtnahme im Lesesaal des Stadtarchivs bestellbar. Näheres zur Recherche erfährt man unter: https://www.kassel.de/buerger/stadtgeschichte/stadtarchiv/bestaende/recherche.php.
In 2023 wurden von den vier Facharchivaren*innen 458 Verzeichnungseinheiten aus den unterschiedlichen Bereichen erschlossen und damit nutzbar gemacht. Parallel dazu wurden weitere 443 Verzeichnungseinheiten, hauptsächliche aus dem Foto- und Kartenbestand, schutzdigitalisiert. Die Fotos des Stadtarchivs wurden dann in die eigene Bilddatenbank eingepflegt. Die Bilddatenbank ist über folgenden Link aufrufbar: https://stadtarchiv.stadt-kassel.de/defaultsa.aspx.
Nutzung und Anfragen
Das Stadtarchiv ist eine Serviceeinrichtung. Dies bedeutet, dass das Stadtarchiv zum einen historische Fragestellung zur Stadtgeschichte, zur Familienforschung oder zu ähnlichen Themenbereichen beantwortet. 2023 wurden in diesem Zusammenhang 1007 Anfragen beantwortet.
Zum anderen können Interessierte nach vorheriger Terminabsprache und Recherche von Unterlagen in ARCINSYS diese zur Einsichtnahme im Lesesaal des Stadtarchivs einsehen. Die Öffnungstages des Lesesaals sind Dienstag bis Donnerstag
In 2023 hatte das Stadtarchiv an den Öffnungstagen des Lesesaals 258 Benutzer. In den Sommermonaten nimmt die Nutzung naturgemäß eher ab, Schwerpunkt war das Frühjahr bis Mai (mit 52 Benutzern*innen) und dann wieder die Monate September und November mit je 28 Benutzer*innen. Für diese wurden insgesamt 2113 Archivalien ausgehoben. Hervorzuheben sind hier die Monate Mai und Juni (239 und 247 Aushebungen) und der September (269 Aushebungen).
Öffentlichkeitsarbeit
Neben den Nutzungen im Lesesaal werden auch die Besucher*innen gezählt, die ein Auskunftsersuchen ohne Lesesaalnutzung, etwa im Rahmen der Familienforschung haben, oder an den Veranstaltungen des Stadtarchivs teilnehmen. In 2023 waren dies insgesamt 639 Besucher*innen, das entspricht einer Durchschnittszahl von ca. 50. Einen kleinen Einbruch gibt es in den Monaten August und September (Ferienzeit). Gegen Ende des Jahres nehmen die Zahlen wieder zu, mit der Höchstzahl im November von 112 Besuchern*innen.
Dies hängt damit zusammen, dass 2023 viele Veranstaltungen im Rahmen „80 Jahre Zerstörung von Kassel“ stattgefunden haben, woran auch das Stadtarchiv beteiligt war. Insgesamt wurden 45 Veranstaltungen durchgeführt. Dazu zählen Vorträge, Führungen, Lesekurse alter Handschriften und Einführungen in die Archivarbeit.
Durch die Kooperationen des Stadtarchivs mit zahlreichen städtischen Akteuren, kann das Stadtarchiv immer wieder Nutzer und Anfragen generieren und bei Forschungsprojekten unterstützen. Kooperationen bestehen mit den städtischen Kultureinrichtungen (Stadtbibliothek, Städtische Museen/ Stadtmuseum, Musikakademie), der VHS, dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., dem Verein Stolpersteine Kassel, dem Archiv des Landeswohlfahrtsverbandes, dem Archiv der deutschen Frauenbewegung, dem Verein Vikonauten e.V. und der Universität Kassel. Darüber hinaus unterstützt das Stadtarchiv Forschungsprojekte Kasseler Schulen und der Universität Kassel.
Weitere Projekte und Aufgaben
Das Stadtarchiv betreut die Durchführung eines Projektes der Erinnerungsarbeit. Dabei geht es um die Aktualisierung des Gedenkbuchs zum Schicksal der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Das Projekt wird in 2024 fortgeführt.
Außerdem unterstützt es die Verwaltung bei dem Thema der Schriftgutverwaltung. So bot es im Jahr 2023 zwei Fortbildungen zu dem Thema an und referierte einmal vor Führungskräften eines Amtes zu dem Thema. Zusätzlich fanden 7 Beratungsgespräche bei mehreren Abteilungen statt. Das Projekt wird ebenfalls in 2024 fortgeführt.